60 Jahre Grundgesetz

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Typ:
Vortrag - mit: Prof. Dr. Hans-Ulrich Wehler
Datum:
28. Mai 2009, 17:00 bis 19:00 Uhr
Ort:
Gerhart-Hauptmann-Haus, Bismarckstr. 90, 40210 Düsseldorf
Details:

Als am 23. Mai 1949 das Grundgesetz verkündet wurde, kam ein Staatsbildungsprozess zu seinem vorläufigen Abschluss, auf den sich die Mehrheit der an verantwortlicher Stelle beteiligten deutschen Politikerinnen und Politiker nur widerstrebend eingelassen hatte. Angesichts des sich immer weiter zuspitzenden Kalten Krieges hatten die führenden Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich im Sommer 1948 den Ministerpräsidenten der damals 11 Länder in den westlichen Besatzungszonen den Auftrag erteilt, die Gründung eines westdeutschen Staates vorzubereiten. Dazu wurde ihnen eine Reihe von Vorgaben gemacht, insbesondere hinsichtlich der Gestaltung und Sicherung des zukünftigen demokratischen Regierungssystems.

 

Die Ministerpräsidenten sträubten sich gegen dieses Ansinnen, sahen sie darin doch eine wesentliche Vertiefung des längst im Gang befindlichen Prozesses der Aufspaltung Deutschlands in einen westlich orientierten und einen unter der Herrschaft der stalinistischen Sowjetunion stehenden östlichen Teil. Gleichwohl vollzogen die Länderchefs und die anderen gewählten Repräsentanten der westdeutschen Bevölkerung die Formierung der Bundesrepublik nicht nur mit, sondern konnten darauf vor allem im Parlamentarischen Rat in Bonn 1948/49 sogar wesentlichen Einfluss ausüben.

 

Schon die Bezeichnung „Grundgesetz“ wurde anstelle des bis dahin üblichen Begriffs „Verfassung“ gegenüber den Besatzungsmächten durchgesetzt, um den aus der Sicht der westdeutschen Politiker vorläufigen Charakter der Weststaatsgründung zu unterstreichen – einer Teilstaatsgründung, die lediglich als Zwischenstufe zur Wiederherstellung der deutschen Einheit betrachtet wurde.

 

Wenn eine vermeintliche Übergangslösung ihren 60. Geburtstag feiert, besteht allemal Grund, über die Voraussetzungen einer von den Urhebern so zunächst gar nicht beabsichtigten Langlebigkeit nachzudenken. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit 1949 in einer ganzen Reihe politischer und ökonomischer Krisensituationen bewährt – und steht im Augenblick im Zeichen der Wirtschafts- und Finanzkrise vor der wohl schwierigsten Herausforderung seiner bisherigen Existenz. Dies macht es noch dringlicher, nicht nur Leistungen und Defizite jener sechs Jahrzehnte Revue passieren zu lassen, sondern auch die Frage nach der Zukunftsfähigkeit aufzuwerfen.

 

 

Prof. Dr. Hans-Ulrich Wehler gehört zu den international profiliertesten Köpfen der deutschen Geschichtswissenschaft. Nach Promotion und Habilitation bei seinem Kölner Lehrer Theodor Schieder wurde Wehler 1970 auf eine Professur für amerikanische Geschichte an der Freien Universität Berlin berufen. Schon 1971 wechselte er auf einen Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Bielefeld. Dort lehrte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1996, unterbrochen von Gastprofessuren an zahlreichen renommierten Hochschulen vor allem in den USA.

 

Stets streitbar, hat er auch das Bild der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wesentlich mitgeprägt – nicht zuletzt durch den im vergangenen Jahr erschienenen fünften und abschließenden Band seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte“, der die Zeit zwischen 1945 und 1990 behandelt. Wehlers monumentale, Sozial- und Politikgeschichte in spezifischer Weise verbindende Darstellung ist ein zentrales Standardwerk zur neuzeitlichen historischen Entwicklung in Deutschland.