"Smarte" Software kann sehr hilfreich sein. Mit kleinen Anstupsern und Belohnungen helfen Apps uns zum Beispiel, Neues zu lernen. Doch solche kleinen Psycho-Tricks können auch Schaden anrichten. Viele Apps sind bewusst so gestaltet, dass wir sie möglichst oft und lange nutzen. Wie können wir Grenzen ziehen?
tl;dr* - Das Wichtigste, ganz kurz
Worum geht es?
- Interaktive Apps können uns bei vielem helfen, zum Beispiel beim Lernen.
- Apps und soziale Netzwerke nutzen psychologische Effekte, die Sucht auslösen können.
- Dadurch nutzen wir die Apps übermäßig häufig.
Was können wir tun?
- Merke: Zuviel Mediennutzung ist Absicht der Anbieter, kein persönliches Versagen.
- Unnötige Apps löschen, Benachrichtigungen ausschalten, Grenzen setzen.
- Eintreten für faires Design von Apps und sozialen Netzwerken.
*tl;dr steht für „too long, didn’t read” („zu lang, habe ich nicht gelesen“)
Die Inhalte im Überblick
Worum geht es?
Was ist das Problem?
Grenzen ziehen, Freiräume schaffen
Tipps für bewusste Mediennutzung
Medientipps
Worum geht es?
Wenn Software typisch menschliches Verhalten berücksichtigt, kann das sehr hilfreich sein. Zum Beispiel, wenn uns die Sprach-App mit Erinnerungen daran hindert, das Vokabeltraining mal wieder zu vergessen. Oder wenn uns der Fitness-Tracker motiviert, Sport zu treiben, indem er mit eindrucksvollen Grafiken unsere Fortschritte veranschaulicht.
Digitale Assistenten wenden oft Erkenntnisse aus der Verhaltenspsychologie an, um uns zu beeinflussen. Zum Beispiel wirken Belohnungen wie Punktesysteme oder Lob verstärkend. Und wenn wir innerhalb einer App Entscheidungen treffen müssen, finden sich oft Elemente, die uns „Anstubser“ in eine bestimmte Richtung geben. „Nudging“ wird das genannt.
Das Problem ist: Viele der beliebtesten sozialen Netzwerke und andere Apps nutzen psychologische Effekte auf eine Weise, die den Nutzerinnen und Nutzern schaden können. Das Interaktionsdesign mancher Plattformen kann als suchtfördernd bezeichnet werden.
Wie soziale Netzwerke uns vereinnahmen
Überraschende Kicks
Jeder Aufruf der App, jeder Refresh der Timeline kann etwas Interessantes zu Tage fördern – aber nicht immer. Gerade diese Ungewissheit macht den Reiz aus, es immer wieder zu versuchen, bis es endlich gelingt. Dieser Mechanismus ähnelt dem von Glücksspielautomaten (Slot Machines) und wird intermittierende Verstärkung genannt. Einige Fachleute halten dies für suchterzeugend. (mehr über diesen Effekt im Online-Lexikon für Psychologie)
Bedürfnis nach Bestärkung
Wir wollen Likes und andere Reaktionen, weil wir uns die Aufmerksamkeit, die Zustimmung und Zuneigung anderer wünschen. Das sind die mächtigsten Verstärker, die die Verhaltenspsychologie kennt. Auch hier wirkt außerdem der oben beschriebene Glücksspieleffekt: Manche der eigenen Beiträge werden von anderen Nutzerninnen und Nutzern ignoriert, andere gehen viral. Die Hoffnung auf den „Jackpot“ führt dazu, dass wir es häufiger versuchen.
Endlose Gelegenheiten
Die beschriebenen Mechanismen werden kombiniert mit endlosen Inhalten. Der Nachrichtenstrom sozialer Netzwerke hört niemals auf. Wer weiter scrollt, bekommt weitere Inhalte angezeigt. Das verspricht, dass es immer mehr zu entdecken gibt. Design und Funktionen vieler Plattformen machen dies nur allzu deutlich. Sie spielen nach dem Ende eines Videos automatisch das nächste ab. Oder sie blenden Hinweise auf weitere, ähnliche Inhalte ein.
Was ist das Problem?
Die verhaltenspsychologischen Mechanismen, die viele Apps ansprechen, sind sehr wirkungsvoll. Kombiniert mit der ständigen Verfügbarkeit – zum Beispiel auf dem Smartphone – sorgen sie dafür, dass wir viele Plattformen übermäßig häufig nutzen. Wir investieren Zeit und Aufmerksamkeit in einem Maß, das oft in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen steht.
Zudem unterbricht und beeinträchtigt ein solches Nutzungsverhalten unsere sonstigen Tätigkeiten. Wir finden weniger Zeit für andere Beschäftigungen, und wir haben weniger Raum für Ruhe und Reflexion. Es gibt zahllose Erfahrungsberichte von Menschen, die beklagen, dass Smartphones und soziale Netzwerke ihre Konzentrationsfähigkeit mindern.
Video: Können Insta, TikTok und Co. uns süchtig machen?
Mal eben „nur kurz“ auf Insta oder TikTok und zack, schon wieder ist eine ganze Stunde rum. Dass wir häufig viel zu lang auf den Social Media Plattformen rumhängen, merken wir ja meistens selber. Aber sind wir deswegen süchtig? Ein Video aus der Funk-Reihe Psychologeek.
Grenzen ziehen, Freiräume schaffen
Viele Menschen beobachten an sich unerwünschte Folgen der Nutzung von sozialen Netzwerken und anderen Diensten, die mithilfe psychologischer Mechanismen unser Verhalten beeinflussen. Dementsprechend gibt es viele Ideen und Ansätze, damit umzugehen.
Ein erster Schritt ist es, sich der suchtfördernden Mechanismen bewusst zu werden. Hilfreich ist es zudem, sich klarzumachen: Es ist eine Herausforderung, Gewohnheiten zu ändern. Es ist kein Mangel an Selbstbeherrschung, wenn dies nicht leichtfällt.
Um sich wieder mehr Freiheit zu verschaffen, helfen dieselben verhaltenspsychologischen Mechanismen, die auch suchtfördernde Apps einsetzen. Das heißt zum Beispiel: Es ist wirksamer, wenn wir uns für Fortschritte belohnen, als wenn wir uns zum Verzicht zwingen.
"Nicht nutzen" gehört zur Medienkompetenz
Zum bewussten Umgang mit digitalen Medien gehören nicht nur Fähigkeiten, die existierenden Kommunikations-Werkzeuge richtig anzuwenden, sondern auch die Fähigkeit zu entscheiden, in welchen Situationen besser auf sie verzichtet wird. Sehr anschaulich stellt dies der Autor Cal Newport in seinem Buch Digital Minimalism dar: Manche Tools seien nur scheinbar praktisch – sie würden uns eher davon abhalten, was wirklich wichtig ist im Leben. Mehr dazu im Abschnitt „Die Info-Flut beherrschen“.
Tipps für bewusste Mediennutzung
Folgende Maßnahmen können helfen, ausufernde Nutzungsgewohnheiten wieder zu begrenzen:
- App-Benachrichtigungen und Signaltöne abschalten. Die meisten Messenger-Apps erlauben Ausnahmen, sodass wichtige Nachrichten wie zum Beispiel von Familienangehörigen dennoch angezeigt werden.
- Zahl und Frequenz der Benachrichtigungen umstellen. Nicht jedes „Like“ muss eine E-Mail auslösen. Die meisten Dienste ermöglichen Sammelbenachrichtigungen, zum Beispiel wöchentliche Mails.
- Klare Regeln für medienfreie Zeiten aufstellen. Zum Beispiel: beim Essen kein Smartphone.
- Deinstallation von „übergriffigen“ und suchtfördernden Apps.
Die Verantwortung der Plattformen für „ethisches Design“
Kritiker:innen weisen darauf hin, dass manche Unternehmen bewusst mit psychologischen Tricks ihre Nutzer:innen manipulieren. Als Einzelperson sind wir ihnen gegenüber in einer schwachen Position. Aber warum sollte es allein in unserer Verantwortung liegen, uns dagegen zu wehren? Es liegt im Interesse aller und der Gesellschaft insgesamt, dass Software nach ethischen Standards entwickelt werden muss.