Wie gut kann Deutschland Menschenrechte?
Das Deutsche Institut für Menschenrechte erforscht und überwacht im Auftrag des Bundestages die Lage der Menschenrechte in Deutschland. Im Jahresbericht 2024 nimmt er fünf Bereiche besonders in den Blick: das Recht auf Asyl, die steigende Wohnungslosigkeit, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung, die Lage von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern sowie die Verletzung von Menschenrechten durch Unternehmen.
Einmal im Jahr, rund um den Internationalen Tag der Menschenrechte, stellt das Deutsche Institut für Menschenrechte im Deutschen Bundestag den Jahresbericht vor. Der mittlerweile neunte Menschenrechtsbericht 2024 ist am 9. Dezember erschienen. Obwohl die Menschenrechtslage in Deutschland gut ist, gibt es Bereiche, in denen der Schutz nach Auffassung des Instituts verbessert werden muss.
Inhalt
Recht auf Asyl in Deutschland
Wohnungslosigkeit
Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung
Lage von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern
Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen
Recht auf Asyl in Deutschland
Das Institut sieht das Recht aller Schutzsuchenden auf Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren in Deutschland unter Druck. Die Art, wie migrationspolitische Debatten geführt werden, schwächen demnach den Flüchtlingsschutz, der im Grundgesetz, in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist.
So kritisiert der Menschenrechtsbericht etwa die Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende, die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) mitgeschlossenen Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen oder die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten. Regelmäßig seien hier die Menschenrechte von Schutzsuchenden betroffen, ohne das sichergestellt wäre, wie diese angemessen gewahrt werden könnten.
Das Institut für Menschenrechte empfiehlt daher:
- Asylverfahren nicht in Drittstaaten auszulagern und die Prüfung von in Frage kommenden Ländern zu beenden,
- ein unabhängiges und effektives Monitoring an den EU-Außengrenzen zu schaffen,
- die Wirkung und Folgen der Bezahlkarte wissenschaftlich zu untersuchen.
Das Institut warnt zudem davor, in der öffentlichen Debatte schutzsuchende oder zugewanderte Menschen pauschal als Gefahr darzustellen und damit Spannungen und Feindseligkeiten bis hin zu Gewalttaten in der Gesellschaft zu verschärfen.
Wohnungslosigkeit
Der Wohnungslosenstatistik zufolge gab es Anfang 2022 in Deutschland mehr als eine Viertelmillion wohnungslose Menschen. Der Menschenrechtsbericht 2024 wist daraufhin, dass das Recht auf Wohnen als Teil des Rechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum im Grundgesetz verankert ist. Doch das Bemühen von Bund, Ländern und Kommunen, Wohnungslosigkeit zu vermeiden und zu überwinden, führe zu einer ernüchternden Bilanz. Es gebe viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum und kaum effektive Maßnahmen gegen steigende Mieten. Daher verlieren weiterhin viele Menschen ihre Wohnung und finden auch keine neue.
Gesetzliche Vorhaben, etwa der Nationale Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit, blieben an vielen Stellen unkonkret und sähen kaum finanzielle Ressourcen zur Umsetzung vor. Überdies bleibe die Rolle von Ländern und Kommunen unklar. Maßnahmen für Menschen in besonders vulnerablen Lebenssituationen, etwa wohnungslose EU-Bürgerinnen oder EU-Bürger sowie von Gewalt betroffene Frauen, seien nicht vorhanden oder unzureichend.
Das Institut für Menschenrechte empfiehlt daher:
- bereits erteilte Empfehlungen für einen an den Menschenrechten orientierten Nationalen Aktionsplan umzusetzen und diesen mit ausreichenden finanziellen Mitteln zu unterlegen,
- ein Förderprogramm für kommunale Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlust,
- den Schutz von Mieterinnen und Mietern - so wie im aktuellen Koalitionsvertrag vorgesehen - zu verbessern,
- Landesaktionsprogramme inklusive einer finanziellen Förderung für die Kommunen, um Wohnungslosigkeit konkret zu überwinden,
- Mindeststandards für kommunale Notunterkünfte, die mit den grund- und menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands übereinstimmen.
Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung
Menschen mit Behinderungen haben wie alle Menschen das Recht, sich eine Arbeit frei auszusuchen und damit selbstbestimmt ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In der Praxis jedoch arbeiten viele gegen ein geringes Entgelt von durchschnittlich 222 Euro in Werkstätten für behinderte Menschen. Der Menschenrechtsbericht 2024 kritisierte den Mangel an inklusiven Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Eine tatsächliche Wahlfreiheit bestehe demnach nicht.
Damit verstoße Deutschland weiterhin gegen das Recht auf Arbeit gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention, was einhergehe mit weiteren Verletzungen dort garantierter Menschenrechte, etwa dem Recht auf Bildung und lebenslanges Lernen oder dem Recht auf unabhängige Lebensführung. Empfehlungen des UN-Fachausschusses seien bislang nicht umgesetzt. Auch die geplante Reform des Werkstattsystems durch die Bundesregierung sei in der aktuellen Form unzureichend.
Das Institut für Menschenrechte empfiehlt daher:
- noch in dieser Legislaturperiode das Mindestlohngesetz auch Beschäftigte in Werkstätten einzuführen,
- die Gleichberechtigung bei Ausbildung und Arbeit sicherzustellen, damit das gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstoßende System von Sonderstrukturen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt abgeschafft werden kann. Hierfür seien insbesondere notwendig: inklusive Ausbildungsoptionen, Unterstützungsleistungen auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt sowie eine Reform der Arbeitsstättenverordnung und der Landesbauordnungen für die Barrierefreiheit von Arbeits- und Ausbildungsstätten.
Die Lage von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern
Im Jahr 2023 beschäftigte die deutsche Landwirtschaft fast eine Viertelmillion Saisonarbeitskräfte. Aber auch das Pflegewesen oder der Transportsektor sind darauf angewiesen, wenigstens zeitweise Arbeitskräfte aus dem Ausland zu beschäftigen. Für diese Arbeitskräfte gelten die im Grundgesetz verankerten Grundrechte ebenso, wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Mindestlohngesetz. Faktisch jedoch seien insbesondere Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter im Niedriglohnsektor häufig von schlechten bis ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Verletzungen ihrer Rechte betroffen, kritisiert der Menschenrechtsbericht 2024.
Wesentliches Druckmittel sei die Angst, mit einer Arbeitsstelle auch die Aufenthaltserlaubnis zu verlieren. Die bereits im Mai 2024 in Kraft getretene EU-Richtlinie über die kombinierte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die genau das verhindern soll, hat Deutschland bislang nicht in nationales Recht umgesetzt.
Das Institut für Menschenrechte empfielt daher:
- das Arbeitsschutzkontrollgesetz zu verbessern, eine Dokumentationspflicht der Subunternehmerketten im Transport- und Baugewerbe einzuführen und diese Pflicht auch für andere Branchen zu prüfen,
- die konsequente Einhaltung von Sozialstandards bei der öffentlichen Auftragsvergabe,
- Straffreiheit in bestimmten Fällen für Betroffene von Arbeitsausausbeutung, damit diese mit Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten können, ohne fürchten zu müssen, etwa für Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht bestraft zu werden,
- die Ratifikation der UN-Wanderarbeiter-Konvention erneut zu prüfen.
Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen
Der Menschenrechtsbericht 2024 kritisiert auch, dass deutsche Unternehmen in ihren globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten immer wieder Menschenrechte und umweltbezogene Rechte verletzen. Zu nennen sei hier etwa Ausbeutung, Landraub oder Wasserverschmutzung. Bislang seien Unternehmen aus Deutschland oder mit Sitz in Deutschland hierfür nur schwer zur Verantwortung zu ziehen, obwohl Deutschland und die Europäische Union die Pflichten von Unternehmen bereits konkretisiert und die Rechte von Betroffenen gestärkt haben.
Ein Beispiel sei das seit Anfang 2023 geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das aber keine Haftung für Unternehmen vorsieht. Obwohl Deutschland zunächst auch eine umfassendere EU-Lieferkettenrichtline unterstützte, forderte die Bundesregierung Anfang 2024 Nachverhandlungen, bei denen die vorgesehenen Pflichten Richtlinie deutlich abgeschwächt wurden.
Auch bei der Verabschiedung einer EU-Zwangsarbeiterverordnung enthielt sich Deutschland. Sie soll im Herbst 2027 in Kraft treten. Auf dem EU-Binnenmarkt dürfen dann keine Produkte aus Zwangsarbeit mehr vertrieben werden. Von Zwangsarbeit sind weltweit schätzungsweise 28 Millionen Menschen betroffen. Bei der EU-Verordnung zu kritischen Rohstoffen (Critical Raw Materials Regulation), die ab 2030 gelten soll, wies das Institut für Menschenrechte auf vereinfachte Genehmigungsverfahren für Rohstoffabbauprojekte hin. Die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards könnte dann über externe Zertifizierungen abgesichert werden, deren Wirksamkeit umstritten ist.
Das Institut für Menschenrechte empfiehlt daher:
- europäisches Recht zügig und unter Beteiligung von Verbänden in deutsches Recht umzusetzen. Dabei sollten die Belange von Betroffenen, insbesondere deren Recht auf Zugang zu Abhilfe, eine zentrale Rolle spielen,
- ein transparentes Berichtsverfahren der Bundesregierung über Abwägungen und Entscheidungen beim Rohstoffabbau im Spannungsfeld zwischen menschenrechtlichen und umweltrechtlichen Belangen,
- die Nutzung von vereinfachten Genehmigungsverfahren und Zertifizierungen bei Rohstoffabbauprojekten nur in Ausnahmefällen.