Sozialpolitik: Sollte die Mietpreisbremse in nordrhein-westfälischen Städten wieder abgeschafft werden?
Kurzfassung
Wer in NRW eine Wohnung mietet, muss immer tiefer in die Tasche greifen: Bestandswohnungen kosten neue Mieter:innen im einwohnerstärksten Bundesland heute im Schnitt 35 Prozent mehr als vor zehn Jahren – das bestätigt eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion. Vor allem für knappe Geldbeutel ist Wohnen vielerorts zur Existenzfrage geworden: Laut „Wohnungsmarktbericht NRW 2020“ attestieren Fachleute vor allem einkommensschwachen Haushalten bei der Wohnungssuche im Westen „schlechte Chancen“.
Mietpreisbremse soll bezahlbaren Wohnraum sichern
Um den Preisanstieg in deutschen Regionen mit besonders angespannten Wohnungsmärkten zu dämpfen, führte die Große Koalition 2015 die sogenannte „Mietpreisbremse“ ein: Sie soll bezahlbaren Wohnraum sichern, indem Wohnungen bei Mieterwechseln höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Miete angeboten werden dürfen. Welche Gebiete als „angespannt“ gelten, entscheiden die Bundesländer. Das Kabinett von Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) verhängte die Mietpreisbremse in NRW zunächst für 22 Gemeinden. Die amtierende CDU/FDP-Landesregierung verlängerte die Regelung zwar, beschränkte sie aber auf 18 Gemeinden – darunter etwa Düsseldorf, Köln und Münster. Denn Ökonom:innen warnen vor unerwünschten Nebenwirkungen: So könne der Preiseingriff dazu führen, dass Mietwohnungen häufiger in Eigentum umgewandelt oder Investitionen zurückgehalten werden.
Parteien positionieren sich unterschiedlich zur Mietpreisbremse
Die nordrhein-westfälischen Mieterverbände befürworten die Mietpreisbremse – und fordern, die Preiseingriffe konsequent auf weitere Städte auszuweiten. Doch ob das Instrument die steigenden Mieten in NRW tatsächlich ausbremsen kann, bleibt umstritten. Entsprechend unterschiedlich positionieren sich auch die Parteien im Wahlkampf zur bevorstehenden Landtagswahl am 15. Mai – der Wahl-O-Mat NRW zeigt hierzu die unterschiedlichen Positionen.
Braucht es die Mietpreisbremse, um den steigenden Mietpreisen in NRW Einhalt zu gebieten? Oder sollte sie in nordrhein-westfälischen Städten wieder abgeschafft werden?
Acht Perspektiven
„Sechs Jahre Mietpreisbremse: Evaluation fällt negativ aus“
IREF Europe, 10.12.2021 - Kalle Kappner
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Als wohnungspolitisches Instrument ist die Mietpreisbremse ungeeignet, findet der Ökonom Kalle Kappner. Im tendenziell liberal-konservativen Blog des Forschungsinstituts IREF EUROPE warnt er vor erheblichen Kollateralschäden: „[B]isherige Evaluationsergebnisse verdeutlichen, dass die ‚gebremsten‘ Mieten im Altbaumarkt teuer erkauft werden“, so der Wirtschaftswissenschaftler.
Zwar gelte die Mietpreisbremse nicht für Neubauten, damit der Anreiz zum Wohnungsbau nicht sinke. Doch die Studienlage beweise, dass auch Neubaumieten durch die Mietpreisbremse nach oben getrieben werden: Wenn die Preise bestimmter Wohnungen „gebremst“ werden, mache das diese umso begehrter – und zwinge Menschen mit höheren Einkommen, auf Neubauten auszuweichen. „Hält die Bauaktivität nicht Schritt, steigen die Mieten kurzfristig“, resümiert der Ökonom.
Gleichzeitig zeigen Evaluationen laut Kappner, dass die mietsenkende Wirkung der Mietpreisbremse deutlich hinter den erwarteten Effekten zurückbleibt. Das Instrument drossele Mieten vor allem im Hochpreissegment – und schaffe es dadurch nicht, Menschen mit wenig Einkommen zu entlasten. Wer dennoch davon profitiert, habe zudem in den Folgejahren mit einer sinkenden Wohnungsqualität zu kämpfen, weil Investitionen angesichts der niedrigeren Mieten zurückgehalten werden.
Anmerkungen der Redaktion
Kalle Kappner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nachdem er einen Bachelorabschluss in Sozialwissenschaften und Wirtschaft abgeschlossen hatte, hat er einen Master in Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin absolviert. Sieben Jahre später hat er an der Humboldt-Universität seine Dissertation abgeschlossen. Während des Studiums hat er unter anderem für den Deutschen Bundestag als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Seit 2014 ist er am Institute for Research in Economics and Fiscal Issues (IREF) freiberuflich beschäftigt. Zudem arbeitet er seit 2020 freiberuflich als wissenschaftlicher Assistent an der London School of Economics and Political Science. Seit 2017 ist er zusätzlich hauptberuflich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität Berlin beschäftigt. Er forscht am Institut für Wirtschaftsgeschichte.
IREF EUROPE ist ein Forschungsinstitut, das sich in seinem Online-Blog mit aktuellen Wirtschafts- und Finanzfragen beschäftigt. Es nimmt in Debatten häufig eine liberal-konservative Haltung ein: beispielsweise tritt die Blog-Sparte meist ein für einen schlanken Staat und kritisiert die „grüne Geldpolitik“ der Europäischen Zentralbank: Die EZB solle sich um Wirtschafts- und nicht um Umweltgesichtspunkte kümmern. Das Institute for Research in Economic and Fiscal Issues wird geleitet durch Jean-Philippe Delsol, geboren 1950, der ein französischer Steueranwalt und Schriftsteller ist. Delsol veröffentlicht auch Artikel im wirtschaftsliberalen und politisch konservativen Magazin LE FIGARO, sowie in der großen Tageszeitung LES ECHOS. Von Lecaussin stammt das Buch „Dieser Staat, der Frankreich tötet“, in dem er die klassisch neoliberale Forderung nach einem schwachen Staat mit den drastischen Worten vertritt: „Schauen wir uns die Fakten an! Es ist der Staat, der Frankreich tötet! Die Beweise sind in diesem Buch.“ Im Beirat von IREF sitzt unter anderem auch Karen Horn, Mitherausgeberin der Wirtschaftsfachzeitschrift PERSPEKTIVEN DER WIRTSCHAFTSPOLITIK.
„Aus für Mietendeckel: Gegen hohe Mieten hilft nur bauen“
Ruhrbarone, 15.04.2021 - Stefan Laurin
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Die Perspektive in 30 Sekunden
„Nur Bagger (…) können günstige Mieten sichern“, konstatiert der Bochumer Journalist Stefan Laurin auf dem Webblog RUHRBARONE. Regulierungen, um den Wohnungsmarkt zu entspannen, erteilt er eine Absage. Anstelle dessen müsse das vorhandene Angebot dringend erhöht werden – auch an Sozialwohnungen.
Wo es insgesamt an Wohnraum mangele, da laufe eine Preisdeckelung ins Leere: denn der Preis könne der Problemursache – der Wohnungsknappheit – nichts entgegensetzen. Anstelle dessen plädiert Laurin für einen entschlosseneren Einsatz der Städte: Deren Aufgabe sei es nicht nur, mit ihren kommunalen Wohnungsunternehmen zu bauen, sondern auch, Neubauprojekten weiterhin konsequente Quoten für Sozialwohnungen aufzuerlegen.
Dennoch gebe es in der Praxis immer mehr Hürden, die sich Neubauten in den Weg stellen: „Hohe Grundstückspreise, immer strengere Ökovorgaben und unzählige Bürgerinitiativen behindern zurzeit den Bau“, kritisiert Laurin. Auch hier sei es an der Politik, zielgerichtet einzugreifen: „Nicht jeder Acker ist ein schützenswertes Biotop und der Bau von Häusern muss bezahlbar bleiben“, gibt Laurin zu bedenken.
Anmerkungen der Redaktion
Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs RUHRBARONE. Er schreibt unter anderem für die SALONKOLUMNISTEN, die WELT und die JÜDISCHE ALLGEMEINE, eine liberal ausgerichtete Wochenzeitung mit dem Schwerpunkt auf jüdischem Leben. Außerdem schreibt er für das Rechercheportal CORRECTIV. Laurin bezieht häufig gegen Antisemitismus Stellung und spricht sich für die Unabhängigkeit des Journalismus von der Politik aus.
Die RUHRBARONE sind ein 2007 gegründeter Webblog, dessen Redaktion überwiegend aus Journalist:innen besteht, die hauptberuflich für andere Medien arbeiten. Von 2010 bis 2013 waren die RUHRBARONE auch als gedruckte Auflage erhältlich. Die Autor:innen folgen laut eigener Aussage drei Grundsätzen: Sie sind gegen Rechts, gegen Autorität und proisraelisch. Viele der Autor:innen, die auf dem Blog veröffentlichen, nehmen zu gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Themen linke Haltungen ein.
„Wir brauchen eine Rückkehr zur Eigenheimzulage“
Kölner Stadt-Anzeiger, 15.04.2021 - Thorsten Breitkopf
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Wirtschafts-Ressortleiter Thorsten Breitkopf kann die Rufe nach einer Ausweitung der umstrittenen Mietpreisbremse nicht nachvollziehen. Denn gleichzeitig werde eine vermeintlich wirksamere Säule der wohnungspolitischen Entspannungspolitik „sträflich vernachlässigt“: der Kauf selbst genutzten Privateigentums. In seinem Kommentar für den KÖLNER STADT-ANZEIGER (KSTA) fordert Breitkopf ein Umdenken: „Eine neue Eigenheimförderung für Privatnutzer wäre heute wieder sinnvoll.“
Indem Menschen wieder stärker vom Staat befähigt werden, in den „eigenen vier Wänden“ zu wohnen, profitiere der gesamte Wohnungsmarkt: „Denn wer sich – am besten ein neues – Eigenheim zulegt und vorher Mieter war, macht neuen Wohnraum frei für andere.“ Dazu müsse nur noch das passende Instrument wiederbelebt werden: die Eigenheimzulage, mit der „Häuslebauer“ bis zum Jahr 2005 staatlich unterstützt wurden.
Den historischen Einwand, dass die Subvention vor allem den Bauunternehmen zugutekomme, hält Breitkopf heute für vernachlässigbar. Viel wichtiger sei die Erkenntnis, „dass die Zulage (…) damals zu Leerständen sogar in Großstädten führte“ – aus heutiger Sicht eine „schier unvorstellbare Situation“. Im Gegensatz zur Mietpreisbremse hält Breitkopf den individuellen Wohnungsbau für das deutlich effektivere Mittel, um angespannte Mietmärkte zu entlasten.
Anmerkungen der Redaktion
Thorsten Breitkopf ist Ressortleiter Wirtschaft beim KÖLNER STADT-ANZEIGER. Er hat eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank absolviert sowie ein später ein Studium der Betriebswirtschaft an der Philipps-Universität Marburg. Nachdem er vier Jahre – auch während seines Studiums – bei der Deutschen Bank als Bilanzanalyst gearbeitet hatte, arbeitete er noch für die Volksbank in der gleichen Position. Danach fand er seinen Weg in den Journalismus: zunächst als Wirtschaftsredakteur bei der RHEINISCHEN POST, unter anderem als Redakteur für regionale Wirtschaft, später als Ressortleiter Wirtschaft beim KÖLNER STADT-ANZEIGER. Beim KÖLNER STADT-ANZEIGER ist Breitkopf seit 2019.
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER ist die Tageszeitung mit der höchsten Auflage im Großraum Köln. Die Zeitung erscheint täglich und gehört zur DuMont-Mediengruppe. Die DuMont-Mediengruppe ist ein Familienunternehmen, das unter anderem auch den Kölner EXPRESS herausgibt. In den letzten Jahren hat die einst einflussreiche DuMont Mediengruppe an Einfluss verloren; Medienjournalist Steffen Grimberg verglich das Familienunternehmen gar mit den „Buddenbrooks“. Die DuMont-Mediengruppe hatte viele Zeitungen in den Jahren 2013 bis 2020 verkauft. Die verkaufte Auflage des KÖLNER STADT-ANZEIGERS hat im vierten Quartal 2021 zusammen mit der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU rund 200.000 Exemplare betragen. Wie bei den meisten anderen Zeitungen auch ist das ein deutlicher Rückgang seit dem Jahr 1990.
„Mietendeckel: Regulierung bleibt sinnvoll“
Wirtschaftsdienst, 06.05.2021 - Claus Michelsen
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Argumenten, die der Mietpreisbremse ihr Daseinsrecht absprechen, kann der Ökonom Claus Michelsen nichts abgewinnen. Im Kampf gegen die Wohnungsnot erfülle der Preiseingriff einen wichtigen Zweck: „Generell sind Regulierungen des Wohnungsmarkts sinnvoll, da Wohnraum ein Grundbedürfnis ist“, kommentiert der Wirtschaftswissenschaftler in der Zeitschrift WIRTSCHAFTSDIENST.
Michelsen begründet seine These anhand von drei Argumenten. Erstens seien Mieter:innen in einem Mietverhältnis grundsätzlich in der schwächeren Verhandlungsposition – und könnten sich ohne staatlichen Schutz nur schwer gegen willkürliche Kostensteigerungen wehren. Zweitens führt ein unregulierter Markt laut Michelsen dazu, dass immer mehr Menschen aufgrund von Mieterhöhungen aus ihren Sozialstrukturen gezwungen werden – was sich für den Staat auf lange Sicht in immensen sozialen Kosten niederschlage. Und drittens falle die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Mietmarkt umso größer aus, je unflexibler das Angebot auf eine steigende Nachfrage reagieren könne. Dabei dürfe der Staat nicht tatenlos zusehen, macht der Ökonom deutlich.
Die Mietpreisbremse entspreche in ihrer Mechanik weitestgehend dessen, was eine moderne Wohnungsmarktregulierung aus Sicht des Autors leisten soll: Sie mache Neubauten – die grundsätzlich von der Regelung ausgenommen sind – attraktiv, orientiere sich an der Marktdynamik und setzte sich durch die Zehn-Prozent-Regel selbst außer Kraft, wenn Mietpreisanstiege moderat erfolgen.
Anmerkungen der Redaktion
Claus Michelsen ist der Geschäftsführer für Wirtschaftspolitik beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Der VFA ist eine Interessenvertretung von 45 Pharmaunternehmen in Deutschland, der klassisch Lobbyarbeit und Öffentlichkeitsarbeit zu Pharmathemen betreibt. Zuvor war Michelsen knapp acht Jahre lang am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beschäftigt: zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Abteilungsleiter in der Abteilung Konjunkturpolitik. Das DIW ist das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut. Michelsen hat an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Staatswissenschaften im Bachelor und empirische Ökonomik und Politikberatung im Master studiert und dort später auch in der Volkswirtschaftslehre promoviert.
Der WIRTSCHAFTSDIENST ist eine monatlich in dem Wissenschaftsverlag SPRINGER erscheinende wirtschaftswissenschaftliche Fachzeitschrift. Sie berichtet über aktuelle wirtschafts- und sozialpolitische Themen und publiziert dafür Beiträge von namhaften Autor:innen aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Der WIRTSCHAFTSDIENST hat dabei den eigenen Anspruch, wissenschaftlich „fundierte Hintergrundinformationen für wirtschaftspolitisch relevante Diskussionen“ zu liefern und versteht sich als Brücke zwischen Wissenschaft und Politik, Forschung und Praxis. Herausgegeben wird der WIRTSCHAFTSDIENST seit 2007 von der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Derzeitiger Chefredakteur ist Christian Breuer (Stand April 2022). Mit ihrer Erstausgabe am 9. August 1916 gehört die Zeitschrift zu den traditionsreichsten ihrer Art. Thematisch hat sie sich in ihren Anfängen hauptsächlich auf die deutsche Politik konzentriert. Im Zuge der Globalisierung behandelt sie jedoch zunehmend auch internationale und europäische Phänomene und Probleme wie die Finanzmarkt-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise in Europa, den Atomausstieg, die Energiewende und Klimapolitik oder auch neuere wirtschaftliche Phänomene wie Nudging oder Sharing Economy.
„Muss der Wohnungsmarkt stärker reguliert werden?“
Die Welt, 21.04.2021 - Michael Fabricius
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Es braucht Städte, in denen „Normalverdiener einen Platz haben“, appelliert der leitende Redakteur Michael Fabricius in einem „Pro und Contra“-Format der Tageszeitung DIE WELT. Vor allem in Großstädten müsse die Politik eingreifen, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Andernfalls seien Mieter:innen vermeintlichen Profitinteressen schutzlos ausgeliefert, befürchtet Fabricius.
Dem könne auch ein Ausbau des Wohnungsangebotes kurzfristig nichts entgegensetzen. Denn in vielen Fällen nütze der Neubau genau jenen Menschen nicht, die aktuell auf günstige Mietwohnungen angewiesen sind: Nach Fabricius’ Ermessen schießen viele Projekte durch ausgelastete Baufirmen und profitorientierte Investor:innen an den akuten Nöten der Wohnungssuchenden vorbei.
Zwar beweise der gekippte Berliner Mietendeckel – der Nettokaltmieten in der Hauptstadt für fünf Jahre einfrieren sollte und schließlich vom Bundesverfassungsgesetz als grundgesetzwidrig erklärt wurde –, dass der Bogen nicht überspannt werden dürfe. Doch dessen ungeachtet sei es notwendig, den Wohnungsmarkt durch Eingriffe wie die Mietpreisbremse nicht gänzlich sich selbst zu überlassen.
Anmerkungen der Redaktion
Michael Fabricius leitet das Immobilien-Ressort der WELT. Der studierte Volkswirt ist Absolvent der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft und arbeitet seit 2001 für die Wochenzeitung. Er war unter anderem auch für die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND und die BERLINER ZEITUNG (BLZ) tätig. Bei der WELT hat Fabricius mehrere Stationen durchlaufen: Zunächst Finanzredakteur, wurde er später Blattmacher Politik und daraufhin Chef vom Dienst der WELT AM SONNTAG. Daraufhin ging es als stellvertretender Ressortleiter ins Wirtschaftsressort. Seit 2018 leitet er das Immobilien-Ressort.
DIE WELT ist eine überregionale Tageszeitung mit Sitz in Berlin, die zum Axel Springer Konzern gehört. Sie wurde 1946 gegründet und erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von knapp 81.000 Exemplaren (4/2021). Anfang 2010 lag diese noch bei über 250.000. Chef-Redakteurin der WELT ist seit 2019 Dagmar Rosenfeld. EUROTOPICS bezeichnet die WELT als konservativ. In ökonomischen Fragen positioniert sich die Zeitung meist wirtschaftsliberal. Das Goethe-Institut urteilt, die WELT ziele in ihrer Printausgabe auf „mittelständische Unternehmer und Selbstständige, die konservative Werte schätzen“. Auch WELT-Autor:innen bekennen sich zu den Leitlinien des Axel-Springer-Verlages, die unter anderem ein Eintreten für „die freie und soziale Marktwirtschaft“ sowie Solidarität mit den USA und Israel fordern.
„„Mietendeckel führen zu äußerst unerwünschten Nebeneffekten““
WirtschaftsWoche, 13.04.2022 - Max Biederbeck-Ketterer
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Ökonom Mathias Dolls gibt den kritischen Stimmen zur Mietpreisbremse grundsätzlich recht. Denn Mietpreise zu regulieren, sei mit Blick auf unbeabsichtigte Nebenwirkungen immer eine heikle Angelegenheit.
Wenn Preiseingriffe aber dennoch notwendig seien, dann komme die Mietpreisbremse im Gegensatz zum in Berlin gekippten Mietendecken als temporäres Instrument durchaus in Frage, verdeutlicht Dolls im Gespräch mit dem Hauptstadtkorrespondenten Max Biederbeck-Ketterer von der Wochenzeitung WIRTSCHAFTSWOCHE.
Dolls argumentiert, dass die Mietpreisbremse im Gegensatz zum Berliner Mietendeckel weniger starr sei, weil sie sich nach der ortsüblichen Vergleichsmiete richte – und nicht etwa nach vorab definierten Mietobergrenzen, wie der Berliner Senat sie festlegte. Indem sie die Marktdynamik berücksichtige, unterscheide die Mietpreisbremse sich grundsätzlich von dem gescheiterten Gesetz aus der Hauptstadt: „Solche Methoden greifen weniger stark ein und sind verträglicher“, bewertet Dolls.
Anmerkungen der Redaktion
Mathias Dolls ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ifo Zentrum für Makroökonomik und Befragungen. Das ifo Institut für Wirtschaftsforschung ist eine universitäre Forschungseinrichtung an der Universität München, das sich mit der Analyse von Wirtschaftspolitik beschäftigt. Das Zentrum für Makroökonomik beschäftigt sich mit Konjunktur und Wirtschaftswachstum sowie den Themen Ungleichheit und Umverteilung. Mathias Dolls ist zusätzlich stellvertretender Leiter des Zentrums für Makroökonomik und Leiter des Aufgabenschwerpunkts Ungleichheit und Umverteilung. Er hat in Köln und Stockholm Wirtschaft studiert und das Studium mit einem Diplom-Volkswirt abgeschlossen. Promoviert hat er ebenfalls in Köln.
Max Biederbeck-Ketterer ist Korrespondent im Hauptstadtbüro der WIRTSCHAFTSWOCHE. Zuvor war er Ressortleiter für Faktencheck der französischen Presseagentur AFP. Von 2008 bis 2020 hat er als Redakteur und Reporter beim Schweizer Nachrichtenportal WATSON gearbeitet. Biederbeck-Ketterer hat Politikwissenschaft in Mannheim studiert. Während seines Masterstudiums in Journalismus besuchte er die Deutsche Journalistenschule in München. Anschließend hat er als Reporter aus dem Mittleren Osten berichtet, überwiegend aus der Westbank, der Grenzregion zwischen Israel und dem Westjordanland. Er hat unter anderem für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die FRANKFURTER RUNDSCHAU, SPIEGEL ONLINE, ZEIT ONLINE und die Nachrichtenagentur DAPD geschrieben.
Die WIRTSCHAFTSWOCHE ist eine seit 1926 bestehende überregionale Wochenzeitung mit Sitz in Düsseldorf, deren verkaufte Auflage zuletzt bei etwa 99.000 lag (4/2021). Sie erscheint im Handelsblatt Verlag, der mit dem HANDELSBLATT eine weitere renommierte Wirtschaftszeitung herausgibt. In ihrer Ausrichtung gilt die Zeitung als wirtschaftsliberal. Die WIRTSCHAFTSWOCHE gehört zu den Pflichtblättern an den Börsen in Düsseldorf und Frankfurt und erfährt Aufmerksamkeit vor allem über ihre Berichterstattung mit Rankings, etwa zu Hochschulen oder Städten. Der Vermarkter Iq Media zeichnet die Hauptzielgruppe der WIRTSCHAFTSWOCHE als männlich, mittelständisch und überdurchschnittlich wohlhabend.
Die Perspektive in 30 Sekunden
Die steigenden Mietpreise treiben nordrhein-westfälische Mieter:innen zusehends in die Enge. Wie viel Kaltmiete in NRW bei neuen Mietverträgen verlangt wird und wo die Preise besonders drastisch steigen, hat der Journalist Jörn Seidel für den WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) zusammengefasst.
Basierend auf Daten des Forschungsinstituts EMPIRICA aus dem Jahr 2020 hat Seidel die durchschnittlichen Quadratmeter-Preise grafisch auf einer Landkarte dargestellt. Die höchsten Kaltmieten sind demnach in Köln (11,74 €), Düsseldorf (11,00 €), Bonn (10,35 €) und Münster (10,22 €) zu verzeichnen. In allen vier Städten liegt der Anstieg damit seit 2010 bei über 35 Prozent.
Zu den landesweiten Schlusslichtern bei den durchschnittlichen Quadratmeter-Preisen zählen Gelsenkirchen (5,93 €), Hagen (5,75 €), der Hochsauerlandkreis (5,71 €) sowie der Kreis Höxter (5,17 €). Aber auch in Gelsenkirchen, im Hochsauerlandkreis und im Kreis Höxter sind die Mieten in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um zwanzig bis dreißig Prozent in die Höhe geschnellt.
Angesichts eines Preisanstiegs von über 40 Prozent sehen sich die Mieter:innen in Bielefeld und Dortmund seit 2010 mit besonders stark steigenden Preisen konfrontiert. Von Kostenexplosionen am meisten verschont blieben die Menschen in Hagen und Remscheid: Dort stieg die durchschnittliche Kaltmiete in den vergangenen zehn Jahren um weniger als zwanzig Prozent.
Anmerkungen der Redaktion
Jörn Seidel ist ein freier Journalist aus Köln. Er arbeitet hauptsächlich für den WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) als Online-Reporter und Produzent für „WDR Aktuell“, das Nachrichtenangebot des WDR. Der studierte Kultur-, Politik- und Medienwissenschaftler hat unter anderem auch für die ZEIT gearbeitet und ist der Mitherausgeber der Online-Feuilletonseite LEIPZIG ALMANACH: Der LEIPZIG ALMANACH ist eine Website, auf der Artikel zum Leipziger Kulturangebot veröffentlicht werden.
Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der "Media-Analyse 2021" erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender erreicht rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im Februar 2022 laut Similarweb rund 16,1 Millionen Besuche zu verzeichnen.
„Welche Maßnahmen helfen gegen hohe Mieten?“
Der Tagesspiegel, 30.04.2021 - Sinan Reçber
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Explodierende Mieten sind kein deutsches Phänomen: Die Frage, wie Wohnraum bezahlbar gemacht werden kann, stellt sich längst in den meisten europäischen Großstädten. Ein Team der Berliner Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL hat recherchiert, welchen Regulierungen dabei zum Einsatz kommen, um der Wohnungskrise entgegenzusteuern – und hat zehn Maßnahmen zusammengefasst.
#1 Häuser kaufen und günstig vermieten
Städte wie Paris, Dublin, London, Madrid und Berlin setzen darauf, den kommunalen Wohnungsbestand zu vergrößern. Verfügbare Immobilien werden mit öffentlichen Mitteln aufgekauft und in der Folge etwa in Sozialwohnungen umgewandelt.
#2 Ausländische Investitionen aussperren
Um ausländische Investoren abzuhalten, die auf höhere Renditen spekulieren, gilt in Zürich und in der gesamten Schweiz das sogenannte „Lex Koller“-Gesetz: Nach diesem dürfen ausländische Staatsangehörige ohne Wohnsitz in der Schweiz keine Immobilien oder Grundstücke erwerben, ohne dafür eine Bewilligung zu haben.
#3 Neue Mietwohnungen bauen
Die Stadt Wien hat sich dem sozialen Wohnungsbau verschrieben: mit Investitionen von hunderten Millionen Euro pro Jahr. Kopenhagen verhängt für Bauvorhaben eine Quote, nach der ein Viertel aller neu entstandenen Wohnungen zu bezahlbaren Preisen vermietet werden müssen.
#4 Büros in Wohnungen umwandeln
Die COVID-19-Pandemie hat zu einem großen Leerstand an Büroflächen geführt. Um die Wohnungsnot einzudämmen, planen Paris und London, verwaiste Büroflächen zunehmend in Wohnungen umzuwandeln.
#5 Umwandlung in Wohneigentum erschweren oder verbieten
Seit Juni 2021 können Mietwohnungen auf angespannten, deutschen Wohnungsmärkten nur noch mit Genehmigung in Eigentum umgewandelt werden. Eine Volksinitiative im schweizerischen Basel setzte sich ein ähnliches Ziel – scheiterte aber.
#6 Mietpreise einfrieren oder begrenzen
Was in Berlin nicht erlaubt ist, ist in Katalonien Realität: eingefrorene Mietpreise. Im September 2020 führte das katalanische Regionalparlament ein Gesetz ein, nach dem Mietpreise eingefroren werden können, wenn der Mietmarkt angespannt ist.
#7 Mietpreise transparent machen
Wie deutsche Städte verpflichtet auch Zürich Vermieter:innen, bei Neuabschlüssen den Mietpreis des vorherigen Mietverhältnisses mitzuteilen. Beträgt der Preisaufschlag mindestens zehn Prozent, können Mieter:innen dagegen vorgehen.
#8 Mietschutzgebiete schaffen
„Rent pressure zones“: Unter diesem Namen hat Dublin nach festgelegten Kriterien Mietschutzgebiete geschaffen, in denen die Mietpreise jährlich nicht stärker als vier Prozent erhöht werden dürfen.
#9 Airbnb-Angebote beschränken
Um zu verhindern, dass dringend benötigte Wohnungen in Ferienwohnungen verwandelt und auf Airbnb angeboten werden, knüpfen Städte wie Amsterdam, Paris, Barcelona und Berlin die touristische Vermietung inzwischen an Auflagen.
#10 Anreize für günstigere Mietpreise schaffen
In Amsterdam werden faire Vermieter von der Gemeinde belohnt: Da die meisten Grundstücke im Besitz der Stadt sind und an Hauseigentümer:innen verpachtet werden, bekommen diese Rabatt, wenn sie ihren Wohnraum langfristig in der mittleren Preisspanne vermieten.
Anmerkungen der Redaktion
In dieser Perspektive, die von sechs Mitarbeiter:innen des TAGESSPIEGELS entwickelt wurde, kommen mehrere Expert:innen zu Wort. Darunter Max-Christopher Krapp, studierter Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU). Das IWU ist eine GmbH, deren Gesellschafter das Land Hessen und die Stadt Darmstadt sind. Krapp beschäftigt sich dort schwerpunktmäßig mit Wohnungsmärkten und Wohnungspolitik. Zusätzlich äußert sich Lorcan Sirr von der Technischen Universität Dublin. Sirr ist außerdem Wohnungsmarkt-Analyst und Schreiber für die SUNDAY TIMES. Hinzu kommt Barbara Steenbergen von der Internationalen Mieterallianz. Barbara Steenbergen ist die Leiterin des EU-Verbindungsbüros des Internationalen Mieterbundes (IUT), das sie selbst im Jahr 2008 gegründet hat. Steenbergen ist für Lobbyarbeit für Mieter:innen in der Europäischen Union verantwortlich. Vereinzelt kommen noch Christine Whitehead von der London School of Economics und Sebastian Kohl vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung zu Wort. Geschrieben wurde die Perspektive von Sinan Reçber, der als Volontär beim TAGESSPIEGEL angestellt ist und hauptsächlich über Wirtschafts- und Umweltthemen berichtet. Er hat in Wuppertal Psychologie studiert.
DER TAGESSPIEGEL ist eine 1945 gegründete Tageszeitung aus Berlin. Er hat mit 110.000 Exemplaren (4/2021) die höchste Auflage unter den Berliner Abonnementzeitungen und wird im Unterschied zur BERLINER ZEITUNG traditionell vor allem in den westlichen Bezirken der Stadt gelesen, da die Mauer die Verbreitung der Zeitung auf Westberlin beschränkte. Seit 2014 erhält der TAGESSPIEGEL besondere Aufmerksamkeit durch den Checkpoint Newsletter, der täglich aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. EUROTOPICS beschreibt die Blattlinie der Zeitung als liberal. Der TAGESSPIEGEL wurde lange Zeit den regionalen Zeitungen zugerechnet, verfolgt seit einigen Jahren jedoch verstärkt eine überregionale Ausrichtung. Die Printauflage bleibt jedoch stark regional dominiert.