Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche in Bielefeld: Sollten Pflegekräfte in NRW stärker entlastet werden?
Foto von: Pixabay / Originalbild: https://pixabay.com/de/photos/behandlung-krankenhaus-klinik-4099432 / Lizenz: https://pixabay.com/service/licenseu
Kurzfassung
Kliniken und Pflegeeinrichtungen in NRW ächzen unter Personalnot: Schon Ende 2021 attestierte der Report „Landesberichterstattung Gesundheitsberufe“ der nordrhein-westfälischen Gesundheitsbranche einen Sofortbedarf von mehr als 23.000 Fachkräften – Tendenz steigend. Um der Mangellage zu trotzen, startet das Klinikum Bielefeld zum 1. Juli ein Pilotprojekt: 30 Vollzeit-Pflegekräfte bekommen die Möglichkeit, ihren Dienst an vier Tagen die Woche zu absolvieren – pro Woche bekommen die Beschäftigten also einen zusätzlichen Tag frei.
Mit dem neuen Arbeitszeitmodell versucht Geschäftsführer Michael Ackermann dem schlechten Image des Pflegeberufs zu trotzen: „Wir wollen Anreize für den Job setzen“, betont er in der RHEINISCHEN POST. Denn auch in Bielefeld mangelt es an Nachwuchs – und immer mehr Beschäftigte fühlen sich überlastet.
Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden soll sich nicht verkürzen
Gleichzeitig geht das Statistische Bundesamt davon aus, dass in NRW bis zum Jahr 2055 rund 1,6 Millionen pflegebedürftige Menschen leben werden – ein Zuwachs um etwa 400.000 Menschen im Vergleich zu 2021. NRW-Pflegekammer-Präsidentin Sandra Postel bezeichnet es angesichts dieses Trends als „unglaublich wichtig“, verschiedene Arbeitszeitmodelle auszuprobieren. Doch das Bielefelder Pilotprojekt ruft auch Widerspruch auf den Plan: Kritische Stimmen mahnen etwa an, dass die tariflich vorgesehene Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden trotz der reduzierten Arbeitstage nicht verkürzt werden soll: Die Schichten werden auf 9,5 Stunden verlängert. Auch der Bielefelder Verdi-Gewerkschaftssekretär Tim Bergmann hält die gleichbleibende Wochenleistung für bedenklich: „Wir reden von einem körperlich wie mental sehr fordernden Beruf“, unterstreicht er in der ÄRZTEZEITUNG.
Ist das Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche dennoch ein Schritt in die richtige Richtung? Sollten Pflegekräfte in NRW stärker entlastet werden?
Acht Perspektiven
„‚Alle Unternehmen mit einer Viertagewoche berichten über sinkende Krankmeldungen‘“
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), 21.04.2023 - Martin Gaedt, Stefan Boes
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Autor und Keynote Speaker Martin Gaedt ist überzeugt, dass die Vier-Tage-Woche den Pflegesektor attraktiver machen kann. Immer weniger Pflegekräfte seien bereit, die Arbeitsbedingungen der Branche hinzunehmen. Das neue Arbeitsmodell dagegen garantiere drei Tage Freizeit und dasselbe Gehalt wie zuvor: „Ich denke, die Viertagewoche wird sich sehr schnell verbreiten, weil sie (…) viele messbare Vorteile bringt“, bekräftigt er im Interview mit dem Journalisten Stefan Boes für das REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND (RND).
„Die Arbeitsbedingungen haben zu viele Pflegekräfte aus ihrem Beruf verjagt“, mahnt Gaedt. Bei einer Vier-Tage-Woche herrsche dagegen der Leitgedanke, den Mitarbeitenden etwas Gutes zu tun – sie zu entlasten. Gaedt beteuert, dass dadurch eine Win-win-Situation entsteht: „Diese Fürsorge steigert die Produktivität“, erklärt er. Dazu seien in Unternehmen mit einer Vier-Tage-Woche sinkende Krankmeldungen zu beobachten. Faktisch werde die Arbeitskraft also trotz der reduzierten Wochentage noch gesteigert.
Dass das Modell auch in Schichtsystemen wie der Pflege gelingen könne, beweise etwa die Anthojo-Unternehmensgruppe: Diese betreibt in Oberbayern 17 Pflege- und Rehaeinrichtungen und bietet ihren Beschäftigten die Vier-Tage-Woche mit längeren Schichten optional an. Zwar sei die Organisation herausfordernd, weil die Dienste im Schichtbetrieb dadurch schwerer zu besetzen sind. „Doch der positive Freizeitwert für die Angestellten ist der Firma den Aufwand wert“, lobt Gaedt.
Anmerkungen der Redaktion
Martin Gaedt ist Autor diverser Bücher zum Thema Arbeit und hält des Öfteren dazu Vorträge. Er arbeitet außerdem als Keynote Speaker auf verschiedenen Veranstaltungen und gibt Innovations-Workshops. In seinem Buch „4 Tage Woche“ wirbt er für die Einführung der Vier-Tage-Woche, bei der man zum gleichen Lohn einen Tag weniger pro Woche arbeitet. Nach eigenen Angaben hat er für das Buch bei 151 Unternehmen untersucht. Auch die Bücher „Rock your Work“ und „Mythos Fachkräftemangel“ beschäftigen sich mit dem deutschen Arbeitsmarkt. Gaedt hat obendrein die Startups Younect und Cleverheads gegründet, um junge qualifizierte Arbeitskräfte mit Arbeitgeber:innen zu verbinden. Beide Unternehmen mussten Insolvenz anmelden.
Stefan Boes ist freier Journalist. Er hat Soziologie in Salzburg und Bielefeld studiert und im Anschluss ein Volontariat bei der NEUEN WESTFÄLISCHEN absolviert. Nach drei Jahren bei PERSPECTIVE DAILY hat er 2022 als freier Autor für das Magazin-Ressort beim REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND (RND) angefangen.
Das REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND (RND) ist eine 2013 gegründete überregionale Nachrichtenplattform der Madsack Mediengruppe. Der RND ist das Ergebnis von Umstrukturierungen und Sparmaßnahmen bei Lokalzeitungen: Der RND verkauft sein Angebot von überregionalen Nachrichten unter anderem an lokale Tageszeitungen wie die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG, die MÄRKISCHE ALLGEMEINE oder die OSTSEE-ZEITUNG. Die Madsack Mediengruppe gehört zu 23 Prozent der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), die die Medienbeteiligungen der SPD verwaltet. Laut Similarweb hatte der Webauftritt des RND im Januar 2023 rund 11,7 Millionen Besuche zu verzeichnen. Der Chefredakteur der Plattform ist Marco Fenske, seine Stellvertreterin Eva Quadbeck.
„4-Tage-Woche auch in der Pflege möglich? Pilotprojekt will Beruf "sexy" machen“
Watson, 08.05.2023 - Andreas Claus, Rebecca Sawicki
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
Andreas Claus, Chef des DRK-Kreisverbandes Sangerhausen, setzt große Hoffnungen auf die Vier-Tage-Woche in der Pflege. Er betrachtet das neue Arbeitszeitmodell als Chance, Pflegeberufe wieder näher an den Patient:innen auszurichten – dank effizienterer Prozesse. Am Ende bleibe den Pflegekräften trotz reduzierter Arbeitstage mehr Zeit für die Arbeit am Menschen, verspricht Claus im Gespräch mit Politikredakteurin Rebecca Sawicki vom Nachrichtenportal WATSON.
Claus beziffert die Zeit, die das Pflegepersonal innerhalb der Arbeitszeit für Schreibtischarbeiten aufbringt, auf etwa 35 Prozent. Diese Zeit gelte es zu reduzieren: „Wir wollen also neben der Flexibilisierung der Arbeitszeit auch eine Arbeitswelt schaffen, die wirklich mit den Menschen zu tun hat“, sagt Claus. Zum Jahr 2024 soll das neue Arbeitszeitmodell daher in allen Pflege- und Betreuungszentren des DRK Sangerhausen eingeführt werden. „Wir wollen sexy sein für junge Menschen und für Fachkräfte aus anderen Ländern und dafür müssen wir das System umstrukturieren.“
Claus hält es für wichtig, Pflegekräfte von Arbeiten in fachfremden Bereichen zu entlasten – etwa der Dienstplanung, Arbeitszeiterfassung oder Dokumentation. In den DRK-Einrichtungen in Sangerhausen mache die Verknappung der Arbeitstage daher nur einen Teil einer größeren Strategie aus, denn: „Mit analogen Prozessen lassen sich flexible Arbeitswelten nur schwer abbilden“, so Claus. Die Digitalisierung dagegen könne Pflegekräften einen beträchtlichen Arbeitsanteil abnehmen.
Anmerkungen der Redaktion
Andreas Claus ist Bankfachwirt und Wirtschaftsjurist. Er arbeitete zehn Jahre für die Dresdner Bank und wechselte dann für drei Jahre zur Deutschen Apotheker- und Ärztebank. Von 2007 bis 2014 leitete Claus die Branchen „Gesundheit & Pflege“ sowie „Bildung & Forschung“ bei der Deutschen Kreditbank. Seit 2017 ist er Vorstandsvorsitzender des Kreisverbandes Sangerhausen beim Deutschen Roten Kreuz (DRK).
Rebecca Angela Sawicki ist Journalistin. Die studierte Politik- und Medienwissenschaftlerin ist derzeit als Politikredakteurin bei WATSON tätig. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsvolontärin bei der Bremer Tageszeitung WESER KURIER und als Werkstudentin in der Onlineredaktion der FREIEN PRESSE.
WATSON ist ein Schweizer Nachrichtenportal, das junge Menschen erreichen will, „die mit Smartphones statt Zeitungen aufgewachsen sind“. Der Fokus liegt dabei auf Nachrichten, Unterhaltung und Debatten. In der politischen bzw. gesellschaftspolitischen Berichterstattung nehmen die Autor:innen von WATSON oft linksliberale Positionen ein. Das Portal hat eine klare Haltung gegen die europäische Flüchtlingspolitik, engagiert sich gegen die AfD und verwendet gendergerechte Sprache. Die Schweizer Ausgabe des Portals existiert bereits seit 2014 und gehört dem Zürcher Medienunternehmen FixxPunkt AG. Die deutsche Lizenzausgabe von WATSON erscheint seit 2018 über Ströer Media, die unter anderem auch T-ONLINE.DE und GIGA.DE herausgibt.
„‚Es ist viel Kreativität gefragt‘“
kma Online, 13.06.2023 - David-Ruben Thies, Aileen Hohnstein
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
David-Ruben Thies, gelernter Krankenpfleger und heutiger Klinikleiter, ist überzeugt, dass Arbeitszeitmodelle flexibler werden müssen. Um das Gesundheitswesen für Beschäftigte und Patient:innen zu erneuern, sei es essenziell, den durch den Fachkräftemangel drohenden „Super-GAU“ mit Innovationen abzuwenden: „Da ist viel Kreativität gefragt“, betont Thies im Gespräch mit der Journalistin Aileen Hohnstein für das Gesundheitsmagazin KMA ONLINE.
Zu den notwendigen Stellschrauben gehört es aus Thies‘ Sicht auch, den Beschäftigten eine Vier-Tage-Woche anzubieten: „Wenn ich statt der im Durchschnitt achteinhalb Stunden pro Tag eben durchschnittlich neuneinhalb Stunden arbeite, wäre das realisierbar“, so Thies. Zentral sei es, stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen – und zwar nicht nur, um diese langfristiger ans Haus zu binden. „Wir merken es auch insbesondere an der Patientenzufriedenheit, die ja letztlich der Spiegel dessen ist, was unsere Mitarbeiter hier tun“, lobt Thies.
Derzeit werde in seiner Klinik in Eisenberg daher ein neuer Haustarifvertrag verhandelt. Und obwohl dieser viele neue Elemente zugunsten der Beschäftigten beinhalte, koste all das „verhältnismäßig gar nicht so viel mehr Geld“. Dafür sei es aber wichtig, die internen Prozesse genau zu analysieren: Wenn Fachkräfte etwa nur dann eingesetzt werden, wenn sie wirklich benötigt werden, führe allein das zu Entlastungen. „Es ist nicht immer nur eine Geldfrage, sondern manchmal eher eine Haltungsfrage: Ist man mutig genug, diese neuen Wege zu gehen?“
Anmerkungen der Redaktion
David-Ruben Thies ist Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg. Zuvor hat er eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert und auch als solcher gearbeitet. 1994 wurde er Vorsitzender des Referatspersonalrates der Stadt München. Von dort aus wechselte er 2000 ins Krankenhausmanagement: zunächst als Leiter der Unternehmensentwicklung und Kommunikation beim Zentralklinikum Suhl, seit 2008 als Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg und der Gesellschaft zur Bewirtschaftung medizinischer Einrichtung.
Aileen Hohnstein arbeitet als Journalistin unter anderem für KMA ONLINE, wo sie sich mit Gesundheitsthemen befasst. Daneben finden sich ihre Artikel aber auch in diversen Lokalmedien wie dem RUPPINER ANZEIGER oder der MÄRKISCHEN ONLINE-ZEITUNG.
KMA ONLINE ist der Webauftritt des Gesundheitswirtschaftsmagazins KMA (Klinik Management aktuell). Das Magazin für interdisziplinäre Management-Themen rund um die Gesundheitswirtschaft wird vom WIKOM-Verlag herausgegeben und erscheint seit 1996. Es ist das offizielle Organ unterschiedlicher Verbände wie beispielsweise dem Österreichischen Verband der KrankenhaustechnikerInnen (ÖVKT) oder der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV e.V.). Im Mai 2023 hatte das Online-Portal laut Similarweb rund 66.000 Besucher:innen zu verzeichnen. Verlegt wird KMA vom Thieme-Verlag, einem Wissenschaftsverlag aus Stuttgart. Chefredakteurin von KMA ONLINE ist Anne-Katrin Döbler.
„Experte: Vier-Tage-Woche ist in Deutschland nicht realistisch“
Südwestrundfunk (SWR), 24.02.2023 - Holger Schäfer, Alexander Winkler
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Wirtschaftsexperte Holger Schäfer hält die Vier-Tage-Woche in der Pflege für keine gute Idee. Wenn es demografisch bedingt ohnehin an Arbeitskraft mangele, dann könne es nicht der richtige Weg sein, weniger zu arbeiten. „Sondern im Gegenteil: Wir müssten eigentlich mehr arbeiten“, verdeutlicht Schäfer im Gespräch mit Redakteur Alexander Winkler vom SÜDWESTRUNDFUNK (SWR).
Eine Vier-Tage-Woche setze aus wirtschaftlicher Sicht voraus, dass die Betriebe ihre Produktivität so weit erhöhen, dass die Leistung trotz des veränderten Arbeitszeitmodells in etwa konstant bleibt. Jedoch gehöre die Pflege zu den Tätigkeiten, in denen Produktivitätssteigerungen kaum zu realisieren seien. Der Wirtschaftsexperte bewertet es daher als unrealistisch, dass die Vier-Tage-Woche die Situation auf dem ohnehin angespannten Arbeitsmarkt entschärfen kann.
Auch das positive Fazit der bisher größten Studie zur Vier-Tage-Woche in Großbritannien bewertet Schäfer kritisch: So basiere der Versuch nicht etwa auf einer repräsentativen Auswahl von Unternehmen, sondern umfasse vornehmlich Dienstleistungsunternehmen, die sich proaktiv um die Teilnahme bewarben. Zudem seien keine Daten zur Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe erhoben worden. „Wie sich die Produktivität entwickelt hat in den Unternehmen, können wir gar nicht zweifelsfrei feststellen“, so Schäfer.
Anmerkungen der Redaktion
Holger Schäfer ist Wirtschaftswissenschaftler und seit 2009 Senior Economist für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Dort beschäftigt er sich hauptsächlich mit den Themen Arbeitsmarkt und Arbeitswelt. Seine Publikationen beschränken sich größtenteils auf IW-interne Papiere, wie den IW-Report und IW-Trends, er publizierte aber auch in den Journalen „Sozialer Fortschritt“, „DIW SOEP Paper“, dem „Wirtschaftsdienst“ und in verschiedenen Sammelbänden. Schäfer wird gelegentlich bei ZEIT, WELT, WDR und DEUTSCHE WELLE als Wirtschaftsexperte interviewt.
Alexander Winkler ist Wirtschaftsredakteur beim SWR. Für den SWR arbeitet er seit 2012: zunächst als Reporter, dann als Online-Redakteur und seit 2017 als Wirtschaftsredakteur in Baden-Baden. Er hat Media Production in Darmstadt und Business Administration in Stuttgart studiert. Beim SWR absolvierte er bereits während seines Bachelorstudiums ein Praktikum.
Der SÜDWESTRUNDFUNK (SWR) ist eine deutsche Rundfunkanstalt. Seit der Fusion von SÜDWESTFUNK und SÜDDEUTSCHEM RUNDFUNK im Jahr 1998 ist der SWR nach dem WDR die zweitgrößte Rundfunkanstalt der ARD. Im Sendegebiet in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erreicht der SWR laut der MediaAnalyse „ma 2021 Audio“ rund 6 Millionen Menschen jeden Wochentag. Auch der Webauftritt des SWR hatte allein im Januar 2023 laut Similarweb rund 16,6 Millionen Besuche vorzuweisen. Der SWR wird von einem Rundfunkrat kontrolliert, der aus Vertreter:innen gesellschaftlich und politisch relevanter Interessensvertretungen der beiden Bundesländer besteht. Der SWR verfügt über einen Fernsehsender, sechs Radioprogramme (darunter ein Jugend- und ein Nachrichtensender) und mehrere Orchester und Chöre.
„Die 4-Tage-Woche steht und fällt mit der Branche und dem Arbeitgeber“
OM Online, 08.05.2023 - Max Meyer
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
Die Vier-Tage-Woche ist keine Lösung für den Fachkräftemangel, meint der Redakteur Max Meyer. Denn was zunächst überzeugend klinge, das müsse auch in der Praxis Bestand haben. „Und genau dort kommen berechtigte Zweifel an dem Arbeitszeitmodell zustande“, schreibt Meyer auf dem lokaljournalistischen Onlineportal OM-ONLINE.
Meyer argumentiert, dass die diversen Faktoren, die den Fachkräftemangel befeuern, auch von einer verkürzten Arbeitswoche nicht ausgehebelt werden können. Zu diesen zählt der Redakteur die älter werdende Gesellschaft, den Drang vieler junger Menschen, zu studieren, sowie die niedrigen Gehälter in der Pflegebranche. Als Universallösung tauge die Vier-Tage-Woche somit keineswegs – weil das Problem fehlender Fachkräfte weiterhin bestehen bleibe.
Als Anreiz könne es der Branche womöglich dienen, den Beschäftigten einen vollen Lohnausgleich bei weniger Arbeitszeit zu bieten. Doch gerade im Gesundheitssystem lässt sich das nach Meyers Einschätzung wohl schwerlich durchsetzen: Dort werde schon seit Jahren „an der absoluten Obergrenze geschuftet“ – und gerade deshalb sei es in diesem Bereich umso schmerzlicher, die Anzahl der Werkstage auch noch zu reduzieren.
Anmerkungen der Redaktion
Max Meyer ist Redakteur bei OM-ONLINE, dem Onlineportal der niedersächsischen Regionalzeitungen MÜNSTERLÄNDISCHE TAGESZEITUNG und OLDENBURGISCHE VOLKSZEITUNG. Überwiegend verfasst der studierte Soziologe dort Meinungsbeiträge. 2019 hat Meyer bei OM-ONLINE ein Volontariat absolviert.
OM-ONLINE ist das Onlineportal der Regionalzeitungen MÜNSTERLÄNDISCHE TAGESZEITUNG und OLDENBURGISCHE VOLKSZEITUNG. Dort erscheinen täglich lokale Nachrichten aus allen 23 Städten und Gemeinden des Oldenburger Münsterlandes, vor allem aus den Landkreisen Cloppenburg und Vechta. OM-ONLINE gehört der OM-Medien GmbH & Co. KG, Geschäftsführer sind Michael Plasse und Jan Imsiecke. Redaktionell verantwortlich ist Chefredakteur Ulrich Suffner. Zu OM-ONLINE gehören auch die Webportale OMSTELLEN.DE, OM-TERMINE.DE und die Digitalausgabe des Lifestylemagazins PROMENADE.
„Weniger arbeiten, schöner leben: Die Vier-Tage-Woche verschärft unsere Probleme“
Tagesspiegel, 02.05.2023 - Alfons Frese
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Wirtschaftsredakteur Alfons Frese glaubt nicht an die Schlagkraft einer Vier-Tage-Woche – immerhin gebe es auf dem Arbeitsmarkt viel mehr offene Stellen als Bewerber:innen. Nach Freses Dafürhalten braucht es mehr, um der Personalnot zu begegnen: „[N]ur ein Mix aus Maßnahmen kann unser Wohlstandsniveau sichern“, kommentiert der Journalist im TAGESSPIEGEL.
So müsse der Fokus etwa darauf gerichtet werden, Frauen und Ältere stärker für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Auch betrachtet Frese die Zuwanderung als Chance, dem deutschen Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen. Zudem fordert der Kommentator eine bessere Berufsorientierung in den Schulen und eine andere Weiterbildungskultur.
Zwar könne auch eine verkürzte Arbeitswoche in Einzelfällen Teil der Lösung sein. Doch das Potenzial für ein flächendeckendes Modell erkennt der Wirtschaftsredakteur darin nicht. Immerhin seien kurze Arbeitszeiten in der Pflege schon heute Teil des Personalproblems: „Fast zwei Drittel der Pflege- und Betreuungskräfte arbeiten geringfügig oder in Teilzeit“, erinnert Frese.
Anmerkungen der Redaktion
Alfons Frese ist Journalist und Wirtschaftsredakteur bei der Tageszeitung DER TAGESSPIEGEL. Hier berichtet er schwerpunktmäßig über industriepolitische Themen, Verbände und Gewerkschaften sowie die Entwicklung der Berliner Wirtschaft. Frese hat auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT und die europaweite Nachrichtenplattform EURACTIV geschrieben.
DER TAGESSPIEGEL ist eine 1945 gegründete Tageszeitung aus Berlin. Die Auflage betrug im ersten Quartal 2023 rund 102.000 Exemplare. Im Unterschied zur BERLINER ZEITUNG wird der TAGESSPIEGEL traditionell vor allem in den westlichen Bezirken der Stadt gelesen, da die Mauer die Verbreitung der Zeitung auf Westberlin beschränkt hatte. Seit 2014 erhält der TAGESSPIEGEL besondere Aufmerksamkeit durch den Checkpoint Newsletter, der täglich aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. EUROTOPICS beschreibt die Blattlinie der Zeitung als liberal. Der TAGESSPIEGEL wurde lange Zeit den regionalen Zeitungen zugerechnet, verfolgt seit einigen Jahren jedoch verstärkt eine überregionale Ausrichtung. Die Printauflage bleibt jedoch stark regional dominiert.
„Unikliniken: Der lange Weg zum ‚Tarifvertrag Entlastung‘“
Westdeutscher Rundfunk (WDR), 30.12.2022 - Doro Blome-Müller
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
Am 1. Januar trat der „Tarifvertrag Entlastung“ für nordrhein-westfälische Unikliniken in Kraft. Die Journalistin Doro Blome-Müller legt im WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) dar, wie Pflegeangestellte sich die besseren Bedingungen erkämpft haben.
Das Eckpunktepapier für den Tarifvertrag wurde im Sommer 2022 vereinbart – zuvor waren die Unikliniken in NRW 77 Tage lang bestreikt worden. Bis zur Unterzeichnung des Vertrags sollten aber noch einige Monate vergehen: „Weil es ein Tarifvertrag allein für die Unikliniken ist, mussten diese erst einmal aus dem Arbeitgeberverband des Landes Nordrhein-Westfalen austreten“, erläutert Blome-Müller. Gleichzeitig wurde ein eigener Verband gegründet: der „Arbeitgeberverband der Universitätskliniken Nordrhein-Westfalen e.V.“
Da es bei dem neuen Tarifvertrag aber nicht um mehr Geld ging, sondern um ein Arbeitsumfeld, das die chronische Überlastung der Beschäftigten beendet, habe sich dessen Ausarbeitung als komplizierter, kleinteiliger Prozess dargestellt. Im Anschluss musste der Vertrag zunächst durch drei Landesministerien geprüft werden: „Denn die Landesregierung hatte eine Finanzierungszusage gemacht und im Haushalt dafür 6 Millionen Euro ausgewiesen“, begründet die Autorin. Unterzeichnet wurde der Vertrag schließlich im vergangenen Dezember.
Mit dem Jahresbeginn wurde eine Übergangsphase von eineinhalb Jahren eingeläutet. Laut Blome-Müller zielt diese darauf ab, eine Dokumentationssoftware zu implementieren und mehr Personal zu gewinnen. „[B]is das alles funktioniert, gibt es unter anderem Pauschalregelungen für Ausgleichstage“, heißt es in dem Beitrag. Einige Details des Tarifvertrags sorgen aber weiterhin für Unmut unter den Beschäftigten: etwa die unterschiedliche Berücksichtigung verschiedener Berufsgruppen oder der Ausschluss anderer Kliniken.
Anmerkungen der Redaktion
Doro Blome-Müller arbeitet als freie Mitarbeiterin für den Hörfunk und das Online-Angebot des WDR. Sie hat in Bochum Geschichte, Politologie und Anglistik studiert und arbeitet seit 1995 als Journalistin – seit 2008 ist sie für den WDR tätig.
Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2021“ erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im Januar 2023 laut Similarweb rund 14,3 Millionen Besuche zu verzeichnen.
„‚Man ist froh, wenn man nur zu Besuch ist‘“
Aachener Zeitung, 23.10.2022 - Manfred Borutta, Andrea Zuleger
Zum Originalartikel
Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Pflegewissenschaftler Manfred Borutta stieg in den 80er-Jahren aus Faszination in die Altenpflege ein und bildet heute Menschen in Pflegeberufen aus. Im Interview mit Redakteurin Andrea Zuleger kritisiert er die Bedingungen in der Pflege – insbesondere in Altenheimen: „Man ist froh, wenn man nur zu Besuch ist“, konstatiert er im Gespräch mit Redakteurin Andrea Zuleger von der AACHENER ZEITUNG.
Borutta führt die Fehlentwicklungen unter anderem auf die Privatisierung des Gesundheitswesens zurück. Große Heime seien oftmals in privater Hand – und nicht selten beobachte er dort „katastrophale“ Zustände. „Das sind renditeorientierte Unternehmen“, bemängelt er. Das wirke sich sowohl zulasten der Hilfsbedürftigen als auch der Beschäftigten aus. „Ich würde unter diesen Bedingungen dort nicht mehr arbeiten können und wollen“, bekennt er.
Zwar gebe es auch Einrichtungen, die gute Rahmenbedingungen schaffen. Doch in der Wahrnehmung des Pflegewissenschaftlers sind diese dünn gesät: „Ansonsten grenzt manches, was wir hier pflegebedürftigen Menschen, aber auch Pflegekräften zumuten an ein Verbrechen!“, so Borutta. „Wir sind da auf einem Weg, den ich nicht gutheiße.“
Borutta plädiert dafür, stärker auf „Diversifizierung“ zu setzen: Anstelle von großen „Verwahranstalten“ brauche es Demenzdörfer, Tageseinrichtungen, Wohngemeinschaften und eine stärkere ambulante Pflege. Zwar seien viele kleine Wohneinheiten personalintensiver, gleichzeitig aber gebe es dort weniger Personalfluktuation. Das Mehr an Kosten könne etwa ausgeglichen werden, indem die Sozialversicherungsbeiträge von Höherverdienenden angehoben werden.
Anmerkungen der Redaktion
Manfred Borutta ist Pflegewissenschaftler und Professor an der Katholischen Hochschule NRW in Aachen. Er hat eine Ausbildung zum Bau- und Möbeltischler sowie im Anschluss eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert. Nach acht Jahren in diesem Beruf wechselte er in die Ausbildung. Borutta hat sich mehrere Jahre lang lokalpolitisch für die Partei Bündnis 90/Die Grünen engagiert. Nachdem er die politische Arbeit beendet hatte, studierte er nebenberuflich Pflegewirtschaft und im Anschluss Pflegewissenschaft. Nach einer Promotion zum Thema Pflege wurde er später als Professor an der Katholischen Hochschule NRW angestellt.
Andrea Zuleger ist Redakteurin bei der AACHENER ZEITUNG. In ihren Beiträgen befasst sie sich schwerpunktmäßig mit Kulturthemen. Zusammen mit Chefredakteur Thomas Thelen moderiert Zuleger den Literatur-Podcast „Auslese“, der monatlich erscheint.
Die AACHENER ZEITUNG ist eine Tageszeitung aus Aachen. Gemeinsam mit den AACHENER NACHRICHTEN erscheint sie im Medienhaus Aachen. Die beiden Medien hatten im ersten Quartal 2023 eine Auflage von rund 75.000 Exemplaren zu verzeichnen. Die erste Ausgabe der Zeitung erschien 1945, von den Alliierten bekam die AACHENER ZEITUNG die Lizenznummer 1 nach dem Zweiten Weltkrieg zugewiesen. Chefredakteur der AACHENER ZEITUNG ist der studierte Sportpublizist Thomas Thelen. Die beiden Zeitungen des Medienhauses Aachen gewannen bereits mehrere Preise wie den Theodor-Wolff-Preis, den Henri-Nannen-Preis und mehrere European Newspaper Awards.