Migrationsland NRW: Sollten Einbürgerungen erleichtert werden?
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Kurzfassung
NRW ist ein Migrationsland: In keinem anderen Bundesland leben so viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte wie hier. Laut Statistischem Bundesamt haben rund 15 Prozent der nordrhein-westfälischen Bevölkerung keinen deutschen Pass. Diese Menschen können jetzt angesichts eines Gesetzesentwurfs des Bundesinnenministeriums auf eine schnellere Einbürgerung hoffen: Müssen Zugewanderte derzeit mindestens acht Jahre auf den deutschen Pass warten, so sieht der Entwurf eine verkürzte Wartezeit von fünf Jahren vor – bei besonderer Integrationsleistung nur noch drei Jahre. Zudem sollen in Deutschland geborene Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, wenn ihre Eltern seit fünf Jahren einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland haben. Für über 67-Jährige plant die Regierung zudem, auf Sprachnachweise und Wissenstests zu verzichten. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft soll in Deutschland möglich werden.
„Damit wird die deutsche Staatsbürgerschaft entwertet und praktisch verschenkt“
SPD und Grüne erhoffen sich von der Einbürgerungsreform eine bessere Integration von Zugewanderten. Die FDP tritt auf die Bremse, gab der Reform aber im Koalitionsvertrag ihren Segen. Doch auch in der NRW-Regierung stoßen die Berliner Pläne auf ein geteiltes Echo. Der CDU-Landtagsfraktionsvize Gregor Golland etwa kritisiert den Gesetzesentwurf scharf: „Damit wird die deutsche Staatsbürgerschaft entwertet und praktisch verschenkt“, warnte Golland bei SAT.1. Auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) kündigte Vorbehalte gegen den Berliner Gesetzesentwurf an und beteuerte, die CDU werde sich die Pläne der Ampel-Regierung „sehr genau anschauen“. Im Lager des grünen Koalitionspartners wird die Reform dagegen als „überfällig“ begrüßt. NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) betonte in der WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG (WAZ), der Abbau gesetzlicher Hürden bei der Einbürgerung sei „ein guter und richtiger Schritt für ein modernes Einwanderungsland“.
Sollten Einbürgerungen also erleichtert werden?
Acht Perspektiven
„Endlich eine Zeitenwende: Faesers Einwanderungspläne haben das Zeug zu einem großen Wurf“
Tagesspiegel, 29.11.2022 - Stephan-Andreas Casdorff
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff erkennt in den Einwanderungsplänen der Bundesregierung „das Zeug zu einem großen Wurf“. Im TAGESSPIEGEL lobt er insbesondere die Pläne, die Staatsbürgerschaft bei besonderen Integrationsleistungen schon nach drei Jahren zu verleihen. „Das ist vor allem ein Anreiz zur Integration“, glaubt der Kommentator.
Casdorff pflichtet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei: Leistung müsse sich lohnen. Wenn Zugewanderte „bleiben wollen und viel dafür tun“, dann sei es „gesellschafts- wie auch wirtschaftspolitisch gestrig“, diesen Menschen das Abgreifen von Sozialleistungen zu unterstellen. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich zu ermöglichen, hält Casdorff für den richtigen Schritt: „Mehrstaatigkeit ist dann übrigens keine Abwertung der jeweils anderen; man könnte sie sogar umgekehrt als Aufwertung verstehen“, schreibt er.
Deutschland sei ein Einwanderungsland – und Casdorff findet es „[h]öchste Zeit, entsprechend zu handeln“. Noch sei das 39-seitige Papier aus dem Bundesinnenministerium zwar nur ein Entwurf. Aber der Autor ist überzeugt, dass Faeser mit ihrem Vorstoß schon bald eine „Zeitenwende“ in der Einbürgerungspolitik markieren wird. „Als Wende hin zu einem modernen Einwanderungsland“, lobt der TAGESSPIEGEL-Herausgeber.
Anmerkungen der Redaktion
Stephan-Andreas Casdorff ist seit September 2018 Herausgeber des TAGESSPIEGELS. Für die Zeitung arbeitet er seit 1999. Von 2004 bis 2018 besetzte er gemeinsam mit Lorenz Maroldt den Posten des Chefredakteurs. Vor seiner Zeit beim TAGESSPIEGEL war Casdorff unter anderem Leiter der Parlamentsredaktion der STUTTGARTER ZEITUNG und Redakteur der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
DER TAGESSPIEGEL ist eine 1945 gegründete Tageszeitung aus Berlin. Die Auflage beträgt im dritten Quartal 2022 99.487 Exemplare. Im Unterschied zur BERLINER ZEITUNG wird der TAGESSPIEGEL traditionell vor allem in den westlichen Bezirken der Stadt gelesen, da die Mauer die Verbreitung der Zeitung auf Westberlin beschränkt hatte. Seit 2014 erhält der TAGESSPIEGEL besondere Aufmerksamkeit durch den Checkpoint Newsletter, der täglich aus Berlins Politik, Wirtschaft und Gesellschaft berichtet. EUROTOPICS beschreibt die Blattlinie der Zeitung als liberal. Der TAGESSPIEGEL wurde lange Zeit den regionalen Zeitungen zugerechnet, verfolgt seit einigen Jahren jedoch verstärkt eine überregionale Ausrichtung. Die Printauflage bleibt jedoch stark regional dominiert.
„Modernes Einbürgerungsrecht statt zweiter Doppelpass-Debatte“
Mitteldeutscher Rundfunk (MDR), 30.11.2022 - Alexander Budweg
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Hauptstadtkorrespondent Alexander Budweg ist überzeugt, dass die deutsche Wirtschaft auf einen „Mentalitätswechsel“ in der Einbürgerungspolitik angewiesen ist. Es werde allzu oft vergessen, dass zahlreiche Anwärter:innen auf den deutschen Pass schon heute maßgeblich an Deutschlands Wirtschaftsleistung beteiligt seien: „Ein nicht unerheblicher Teil unseres wirtschaftlichen Erfolges wird von etwa elf Millionen Menschen erarbeitet, die zwar hier leben, Steuern und Abgaben zahlen und dieses Land auch auf ihre Art und Weise mitprägen, allerdings keine Deutschen sind“, kritisiert er im MITTELDEUTSCHEN RUNDFUNK (MDR).
Aus Budwegs Sicht müsse es im Interesse von Deutschland als Wirtschaftsstandort sein, eine echte Willkommenskultur zu etablieren. Denn das Land leide unter einem Fachkräftemangel, den die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Oktober mit nahezu 900.000 unbesetzten Stellen bezifferte. „Für die Wirtschaft bedeutet das ausbleibende Erlöse, für unsere Sozialsysteme fehlende Beiträge und für den Staat weniger Einkommenssteuern“, gibt Budweg zu bedenken. Dazu sei der „andere Pass“ häufig nicht etwa ein Ausdruck mangelnder Integration – „sondern von bürokratischen Hürden und von Ausländerbehörden, die gleichsam mit einem schlechten Image und chronischem Personalmangel kämpfen“.
Es sei unbestritten, dass Deutschland den Fachkräftemangel nicht aus eigener Kraft bewältigen könne. Umso fataler findet Budweg es, dass die CDU sich der Einbürgerungsreform entgegenstellt. Dem Parteivorsitzenden Friedrich Merz, der unlängst in der ARD vor einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“ warnte, unterstellt er „Stimmungsmache“ – und einen Mangel an wirtschaftlicher Kompetenz. Budweg glaubt, dass eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik nicht ohne ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht zu haben ist. „Wer stattdessen aber wieder mit der Angst vor Überfremdung spielt, der schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig und damit auch unseren Sozialsystemen.“
Anmerkungen der Redaktion
Alexander Budweg (*1984) ist ein deutscher Journalist und Hauptstadtkorrespondent für MDR AKTUELL. Er ist Chef vom Dienst und Planer beim MDR THÜRINGEN JOURNAL. Folglich schreibt und berichtet er über regionale Themen. Er ist dort außerdem auch für Praktikanten und Volontäre zuständig. Von 2013 bis 2014 hat er beim MDR volontiert. Anschließend arbeitete er als Videojournalist im Regionalstudio Dessau und als Politikreporter im Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt.
Der MITTELDEUTSCHE RUNDFUNK (MDR) ist die Landesrundfunkanstalt für das Land Sachsen-Anhalt sowie für die Freistaaten Sachsen und Thüringen. 1991 wurde der MDR gegründet und startete 1993 auch im Fernsehen. Der MDR ist Teil der öffentlich-rechtlichen Sender und Mitglied der ARD. Er wird hauptsächlich über die Rundfunkgebühren finanziert. Durch den Rundfunkstaatsvertrag ist die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit festgeschrieben. Zu den Radiosendern gehören MDR Sachsen, MDR Sachsen-Anhalt, MDR Thüringen, MDR Jump, Sputnik, MDR Tweens, MDR Kultur, MDR Aktuell und MDR Klassik. Seine Auslandskorrespondent:innen hat der MDR in Brüssel, Washington, Paris, Zürich, Prag, Neu-Delhi und Shanghai. Intendantin ist seit 2011 die Juristin Karola Wille. Der MDR betreibt außerdem das Portal MDR360G, das einen umfassenden Blick über die Medienwelt ermöglichen soll, indem es Analysen, Texte und Videos zu Medien und ihrer Funktionsweise veröffentlicht.
„Deutsche Pässe bald Auslegeware?“
Westdeutscher Rundfunk (WDR), 29.11.2022 - Mithu Sanyal
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Einbürgerungen zu erleichtern, ist ein wichtiger Schritt, meint die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Mithu Sanyal. Die Sorgen, die der Gesetzesentwurf mancherorts auslöst, hält sie für unbegründet. „Dass Menschen jetzt nicht mehr acht Jahre warten müssen, bevor sie einen deutschen Pass beantragen können, sondern nur noch fünf (…), kostet uns nichts – außer einer Einbürgerungszeremonie“, argumentiert sie im WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR).
Sanyal unterstreicht, dass die erleichterte Einbürgerung ohnehin nur für Zugewanderte gelte, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben und ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten. Es diesen Menschen zu ermöglichen, Deutsche zu werden, ist in Sanyals Augen „längst überfällig“. Vor allem für Kinder, die hier geboren werden, und deren Eltern seit Jahren in Deutschland leben, berge der Gesetzesentwurf eine große Chance: Sie sollenkünftig automatisch Deutsche werden, wenn ihre Eltern seit mindestens 5 Jahren hier leben. „[M]an müsste (…) schon wirklich ein sehr hartes Herz haben, um dagegen zu sein“, findet Sanyal.
Auch Vorbehalte gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kann Sanyal nicht nachvollziehen. „Menschen werden nicht plötzlich vollkommen verwirrt durch dieses Land laufen und nicht wissen, für welche Fußballmannschaft sie jubeln sollen“, überspitzt sie. Denn Staatsbürgerschaft sei „keine magische, unteilbare Substanz“ – sondern die legale Voraussetzung dafür, vollständig am demokratischen Prozess teilzuhaben. „Es fällt mir schwer zu glauben, dass sich wirklich jemand ernsthaft darüber aufregt“, so die Journalistin.
Anmerkungen der Redaktion
Mithu Sanyal ist Journalistin, Autorin und promovierte Kulturwissenschaftlerin. Sie hat deutsche und englische Literatur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf studiert und dort anschließend auch promoviert. Seit 1996 schreibt sie fest für den WDR, für den sie Hörspiele und Features produziert. Seit dem Erscheinen ihres zweiten Buches „Vergewaltigung: Aspekte eines Verbrechens“, ist sie ein viel gefragter Talkshow-Gast zu dem Thema. 2017 löste sie eine Kontroverse aus, indem sie die #metoo-Bewegung kritisierte, eine „Entmenschlichung“ der – häufig nicht gerichtlich verurteilten – potenziellen Täter zu fordern.
Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2021“ erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im September 2022 laut Similarweb rund 14,6 Millionen Besuche zu verzeichnen.
„Deutschen Politikern fehlt es an Selbstbewusstsein“
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 28.11.2022 - Jasper von Altenbockum
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Für den Redakteur Jasper von Altenbockum gehen die Einbürgerungspläne des Bundesinnenministeriums in die völlig falsche Richtung. „In der Praxis spielt es nicht (…) die wichtigste Rolle, nach wie viel Jahren ein Einwanderer eingebürgert werden darf, sondern was er kann und was er will“, mahnt der Innenpolitikchef in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ).
Von Altenbockum warnt davor, die Einwanderungspolitik aus vermeintlich falschen Motiven zu stark zu lockern – etwa, weil alles „moderner“ werden solle. Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen möchte, der müsse sich diese weiterhin mit der nötigen Mühe erarbeiten – und in dem deutschen Pass einen Wert sehen, „der über ‚Partizipation‘ hinausgeht“. Der Innenpolitikchef meint: „So viel Selbstbewusstsein muss sein.“
In Berlin kann er dieses „Selbstbewusstsein“ indes nicht erkennen. „[D]er Versuch der Ampelkoalition, ein ‚modernes Staatsangehörigkeitsrecht‘ zu schaffen, besteht vor allem aus Gesten der Demut gegenüber Einwanderern und der Marginalisierung alteingesessener Deutscher“, bemängelt er. Damit schieße die Regierung am Ziel vorbei: „Der Arbeitsmarkt wartet (…) auf unbürokratisch angeworbene Fachkräfte, nicht auf Staatsbürger vom Fließband.“
Anmerkungen der Redaktion
Jasper von Altenbockum (*1962) ist Journalist und seit 1989 Redakteur bei der FAZ, wo er heute das Ressort Innenpolitik leitet. Von Altenbockum ist umstritten und wird immer wieder aufgrund seiner konservativen Kommentare kritisiert. In einem Artikel über das Coming-Out des Ex-Fußballprofis Thomas Hitzlsperger hat er etwa geschrieben: „Es sollte in Deutschland nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehört zu sagen: Ich bin heterosexuell, und das ist auch gut so.“ Vom TAGESSPIEGEL und der LGTBQ-Plattform QUEER wurdevon Altenbockumdafür als homophob bezeichnet. Die Kritik setze sich im Jahr 2019 fort, als der Journalist einen Tweet mit Falschinformationen über den Youtuber Rezo teilte. Gleichzeitig ist von Altenbockum für seine Haltung zum griechischen Flüchtlingslager Moria bekannt: Seit dem Bekanntwerden der dortigen prekären Bedingungen plädiert der FAZ-Redakteur dafür, die dort gestrandeten Menschen endlich in Europa aufzunehmen.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie ist 1949 gegründet worden und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt. Dies sind Medien, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht die FAZ „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die Zeitung gilt als liberal-konservatives Blatt. THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag im dritten Quartal 2022 bei rund 192.000 Exemplaren. Laut Similarweb hatte der Webauftritt der FAZ – FAZ.NET – im Oktober 2022 rund 40 Millionen Besucher:innen zu verzeichnen.
„Neues Staatsbürgerschaftsrecht setzt falsches Einladungssignal zur falschen Zeit“
Münchner Merkur, 29.11.2022 - Georg Anastasiadis
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Chefredakteur Georg Anastasiadis befürchtet, dass sich die SPD und die Grünen mit dem modernisierten Staatsbürgerschaftsrecht verkalkulieren: „Die deutsche Staatsbürgerschaft mit einer leichteren Einbürgerung wie Auslegeware feilzubieten, setzt ein falsches und gefährliches Signal“, kommentiert er in der Tageszeitung MÜNCHNER MERKUR.
Anastasiadis hält das Timing der Reform für denkbar ungeeignet: Immerhin werde Deutschland „gerade von einer zweiten großen Welle unkontrollierter Migration erfasst“. Die Ampel-Regierung habe bereits „enorme Probleme“, die Zuwanderung über die Balkanroute in den Griff zu bekommen – „ganz zu schweigen von der versprochenen Rückführung selbst straffälliger illegaler Ausländer“, gibt Anastasiadis zu bedenken. „Statt dieses Chaos zu ordnen, wollen SPD und Grüne mit der leichteren Vergabe des deutschen Passes ein neues Einladungssignal in die Welt setzen“, moniert er – und dieses Signal werde sicher nirgendwo überhört.
„Das ist ein Spiel mit dem Feuer“, warnt Anastasiadis. Denn dadurch könne auch die Akzeptanz in der Bevölkerung schwinden, die es brauche, um ausländische Fachkräfte zu gewinnen und Kriegsgeflüchtete aufzunehmen. Aus seiner Sicht muss die Staatsbürgerschaft als Belohnung am Ende gelungener Integration stehen. „Eine Regierung, die nicht gut aufpasst, wer ins Land kommt und wer den Pass erhält, gibt zentrale Elemente der Staatlichkeit preis“, so Anastasiadis.
Anmerkungen der Redaktion
Georg Anastasiadis ist Journalist und Chefredakteur des MÜNCHNER MERKUR. Er absolvierte sein Volontariat bei der Lokalredaktion ISAR-LOISACHBOTE und hat Volkswirtschaftslehre in München studiert. Im Jahr 2000 übernahm er die Leitung der Wirtschaftsredaktion des MÜNCHNER MERKUR, seit 2016 führt er die Zeitung als Chefredakteur.
Die Tageszeitung MÜNCHNER MERKUR wurde 1949 gegründet und hatte zuletzt eine verkaufte Auflage von gut 245.000 Exemplaren (3/2022). Der MÜNCHNER MERKUR und sein Boulevard-Ableger, die TZ, gehören zur Mediengruppe des westfälischen Verlegers Dirk Ippen. Die politische Grundhaltung des MÜNCHNER MERKURS wird etwa vom Medienmagazin KRESS und der TAZ als konservativ verortet. Der MERKUR gilt in Bayern als Gegenstück zur eher liberalen SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, wobei diese auflagentechnisch im städtischen Raum dominiert; der MERKUR hat aufgrund vieler Lokalausgaben in vielen ländlichen Gebieten hingegen eine Monopolstellung inne. Die Watchblogs ÜBERMEDIEN und der BILDBLOG haben in der Vergangenheit kritisiert, dass es zur journalistischen Praxis des MERKUR gehöre, mit reißerischen Überschriften Reichweite zu generieren.
„Deutsche Staatsbürgerschaft: Es geht um den Menschen“
Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), 28.11.2022 - Jörg Quoos
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Die Pläne der Ampel-Koalition sind zum Scheitern verurteilt, glaubt Chefredakteur Jörg Quoos. Indem Einbürgerungen erleichtert werden, ist aus seiner Sicht nichts gewonnen: „Ob ein Mensch gut integriert und für die Gesellschaft wertvoll ist, hängt (…) weniger von der Frage ab, ob er acht oder fünf Jahre im Land ist“, kommentiert er in der WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG (WAZ).
Laut Quoos kann echte Integration nur gelingen, wenn Menschen weniger bürokratisch begutachtet werden. „Hier lohnt sich immer der Blick auf das Individuum und seine Einstellung“, plädiert er. Menschen nach pauschalen Kriterien zu begutachten, werde den Anforderungen an Integration keineswegs gerecht. Wichtig sei es etwa, im direkten Kontakt sicherzustellen, dass Anwärterinnen und Anwärter der deutschen Staatsbürgerschaft nicht nur ihre Rechte kennenlernen, sondern auch ihre Pflichten. „Das verraten weder Behördenformulare noch der standardisierte Einwanderungstest, bei dem man wissen muss, dass unser Wappentier der Adler ist“, kritisiert der Autor.
Gleichzeitig wirbt Quoos für eine „breite Debatte“ über Einwanderungen – und zwar „ohne populistische Kampfbegriffe“. Es brauche eine vorurteilsfreie Diskussion, die auch respektiere, dass Kritik an einer beschleunigten Vergabe der Staatsbürgerschaft nicht mit Fremdenfeindlichkeit gleichzusetzen sei. Gleichzeitig dürfe der Blick ins Ausland nicht gescheut werden: „Man sollte vorurteilsfrei vergleichen, ob andere Länder beim Thema Einbürgerung besser sind als wir.“
Anmerkungen der Redaktion
Jörg Quoos ist ein deutscher Journalist und Leiter der FUNKE-Zentralredaktion der FUNKE MEDIENGRUPPE, zu der das REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND gehört. Quoos hat bei der RHEIN-NECKAR-ZEITUNG volontiert und war im Anschluss dort als Redakteur tätig. Danach war er unter anderem als stellvertretender Chefredakteur für Politik und Wirtschaft bei der BILD beschäftigt. Er war Mitglied der Chefredaktion von BILD AM SONNTAG und später Chefredakteur des Nachrichtenmagazins FOCUS. Nach seiner Zeit beim FOCUS wurde Quoos zum Chefredakteur der FUNKE-Zentralredaktion, für deren Aufbau er seither verantwortlich gewesen ist.
Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG (WAZ) ist die größte deutsche Regionalzeitung. Erstmals erschien sie im Jahr 1948. Ihr Hauptsitz ist in Essen, sie erscheint jedoch im gesamten Ruhrgebiet. Im Laufe der Jahre wurden mehrere andere Zeitungen aufgekauft und die „Zeitungsgruppe WAZ“ entstand, die 1997 in „WAZ-Mediengruppe“ umbenannt wurde. Heute wird die WAZ von der Funke-Mediengruppe herausgegeben. Überregionale Themen werden von der Zentralredaktion in Berlin bearbeitet. Wie zahlreiche andere Zeitungen hat auch die WAZ-Mediengruppe stark mit sinkenden Auflagezahlen zu kämpfen. Im ersten Quartal 2022 lag diese bei rund 392.000 verkauften Exemplaren, zu Beginn des Jahrtausends waren es noch knapp dreimal so viele. Dennoch ist die WAZ nach wie vor die größte regionale Tageszeitung in Deutschland.
Die Perspektive in 30 Sekunden
„15 Jahre vergingen, bis ich Deutsche wurde“, berichtet die gebürtige Spanierin Gemma Teres Arilla. Anlässlich der geplanten Reform des Staatsbürgerrechts schildert die Auslandsressort-Redakteurin in der TAGESZEITUNG (TAZ), wie sie ihre eigene Einbürgerung erlebte.
Arilla hat die Hälfte ihres Lebens in Berlin gelebt, inzwischen fast 20 Jahre. Ihre Einbürgerungsfeier fand erst im Dezember 2019 statt. Den Entschluss, deutsche Staatsbürgerin zu werden, hatte sie zwei Jahre zuvor gefasst. Aber: „Bis ich zum Fest im Berliner Parlament eingeladen wurde, musste (…) ich einige Hindernisse überwinden“, erzählt die Redakteurin.
Den ersten Termin bei der Behörde bekam sie nur auf Umwegen – mit einer Wartezeit von elf Monaten. „Ich musste mich in Deutschlands Geografie, Geschichte und Gesetzen beweisen, trotz meiner Berufserfahrung und meines Masters an der Freien Universität“, so Arilla. Daneben brauchte es nicht nur eine „unendliche Liste“ von Unterlagen – sondern auch insgesamt 574 Euro für Gebühren, Einbürgerungstest und Sprachzertifikat. „Erfreulich war der lange bürokratische Weg nicht und billig auch nicht“, resümiert die Redakteurin.
Dabei sei eine Verfahrensdauer von zwei Jahren noch vergleichsweise kurz. Immer wieder höre sie Geschichten von Freunden, die wesentlich längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. „Zum Beispiel Rebeca Rodríguez aus Madrid, erfolgreiche Architektin, verheiratet mit einem Deutschen, Wohnungseigentümerin, Mutter zweier deutscher Kinder: Sie wartet seit sechs Jahren.“ Voraussichtlich 2024 werde sie ihren Pass erhalten. Doch es sei fraglich, ob sie bis dahin noch in Deutschland wohne.
Im Jahr 2019 durfte Arilla als Teil einer ausgewählten Gruppe an ihrer Einbürgerungsfeier im Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses teilnehmen. „War ich stolz? Das weiß ich nicht“, reflektiert sie. „Auf jeden Fall erleichtert, dass der lange Weg zur deutschen Staatsangehörigkeit endlich geschafft war.“ Vor Kurzem hat Arilla auch in Deutschland geheiratet. Jetzt habe sie „das volle Programm“, erzählt sie: „deutsche Kinder, deutscher Pass, deutscher Arbeitgeber, deutscher Mann“.
Anmerkungen der Redaktion
Gemma Teres Arilla, Jahrgang 1982, ist Redakteurin im Auslandsressort der TAZ. Bei der TAZ fing sie im Mai 2022 als Themen- und Nachrichtenchefin an. Ihre Karriere als Journalistin begann sie in Spanien, während ihres Studiums spezialisierte sie sich bereits auf Osteuropa und Russland. Arilla hat im Bachelor Journalismus studiert und im Master Osteuropastudien. Sie schrieb bereits für die DEUTSCHE WELLE und die katalanische Tageszeitung DIARI ARA. Sie ist außerdem Autorin und Übersetzerin mehrerer Bücher.
Die TAGESZEITUNG (TAZ) ist eine überregionale deutsche Tageszeitung. Sie wurde 1978 als alternative, selbstverwaltete Zeitung – unter anderem vom Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele – gegründet. Die Zeitung hat sich besonders in ihrer Anfangszeit an Linke, Studierende, Grüne und die Hausbesetzer-Bewegung gerichtet. Erklärtes Ziel der TAZ ist es seither, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Sie gehört heute zu den zehn größten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland, mit einer verkauften Auflage von rund 43.000 Exemplaren (3/2022). Nach eigenen Angaben verzeichnet die Webseite TAZ.DE bis zu 12 Millionen Zugriffe monatlich (9/2021). Das Goethe-Institut verortet die TAZ als „grün-linkes“ Blatt und betont besonders die oft sehr kritische Berichterstattung der Zeitung. Eurotopics sieht die TAZ als linkes Medium und stellt die gestaffelte Preisgestaltung und die Entscheidung gegen Online-Bezahlschranken als Besonderheiten der Zeitung heraus. Die TAZ wird genossenschaftlich herausgegeben, jährlich findet eine Generalversammlung statt, an der jedes der zuletzt (2022) rund 22.000 Mitglieder teilnehmen kann.
„Wie hält es Europa mit dem Doppelpass?“
Deutsche Welle (DW), 29.11.2022 - Astrid Prange de Oliveira
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Die Redakteurin Astrid Prange de Oliveira veranschaulicht in einem Überblick für den Auslandsrundfunk DEUTSCHE WELLE (DW), welche Einbürgerungsbestimmungen in anderen europäischen Ländern gelten.
„Relativ gering sind die Hürden der Einbürgerung zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien, Portugal, Polen, Schweden, Finnland und Belgien“, stellt Prange de Oliveira heraus. In den genannten Ländern sei es Zugewanderten nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren möglich, einen Antrag auf Einbürgerung zu stellen. „Sie können außerdem nach der Einbürgerung ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit beibehalten“, so die Autorin.
Unter anderem in der Schweiz, Österreich, Italien, Spanien, Bulgarien, Tschechien und Slowenien seien Zugewanderte erst nach zehn Jahren zu einem Einbürgerungsantrag berechtigt. Während der gesamten Wartezeit müssen die Menschen kontinuierlich und rechtmäßig im Land gelebt haben. „Dazwischen liegen Länder wie Irland, Ungarn, Rumänien und die Slowakei, die acht Jahre verlangen“, erläutert die Redakteurin. In Dänemark gelte eine Wartezeit von neun Jahren.
In Ländern wie Griechenland, der Türkei, Portugal und Malta habe die doppelte Staatsbürgerschaft sich dagegen zu einem Geschäftsmodell entwickelt: Wer dort in Immobilien investiert, Kapital anlegt oder Unternehmen gründet, kann mithilfe von sogenannten „goldenen Visa“ eingebürgert werden. Nach den DW-Recherchen gehört die doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit inzwischen aber auch in den meisten anderen europäischen Ländern zum Alltag.
Schwieriger zu bekommen ist der sogenannte „Doppelpass“ laut der Redakteurin derzeit noch in Deutschland, der Ukraine, den Niederlanden, Österreich, Estland, Bulgarien, Spanien, Lettland und Litauen.
Anmerkungen der Redaktion
Astrid Prange de Oliveira ist Redakteurin bei der DEUTSCHEN WELLE. In Graz und Freiburg hat sie Geschichte und Romanistik studiert. Nach einem Volontariat bei der HANNOVERSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG (HAZ) begann sie als Redakteurin bei der SÜD WEST PRESSE in Ulm. Sie hat als Autorin für verschiedene Medien geschrieben und von 2004 bis 2006 als Campaignerin für UNICEF gearbeitet. Sie ist eng verbunden mit der brasilianischen Kultur und der evangelischen Kirche. Dahingehend arbeitete sie unter anderem als Brasilien-Korrespondentin für die TAZ in Rio de Janeiro, aktuell als Redakteurin in der brasilianischen Redaktion der DEUTSCHEN WELLE und als Redakteurin bei den ZEIT-Extraseiten „Christ & Welt“ sowie für den EVANGELISCHEN PRESSEDIENST. Ihre journalistische Arbeit dreht sich um Weltpolitik, Weltkirche, Handel und Globalisierung, Lateinamerika, Europa, Brasilien und Deutschland.
Die DEUTSCHE WELLE (DW) ist der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland. Er wird aus Bundesmitteln finanziert und ist Mitglied der ARD. Die DEUTSCHE WELLE produziert Online-, Fernseh- und Radiobeiträge und sendet in rund 30 Sprachen. Damit ist sie einer der Träger der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Die Inhalte der Programme haben einen Schwerpunkt auf Nachrichten, Dokumentationen und Kulturberichterstattung. Die DEUTSCHE WELLE sorgte im Frühjahr 2020 für Schlagzeilen, nachdem die TAGESZEITUNG (TAZ) einige Schilderungen von Mitarbeiter:innen veröffentlichte. Sie berichteten von einem schlechten Arbeitsklima, von Rassismus, Mobbing und systematischer Unterdrückung von Kritik.