„Kraftakt für die Städte in NRW“: Ist der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ein guter Kompromiss?

05.05.2023 - Themenbereiche: Nordrhein-Westfalen, Politik, Soziales
Geldscheine in der Nahaufnahme

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Kurzfassung

Rund 360 Euro mehr im Monat für einen Müllwerker, 400 Euro mehr für eine Pflegekraft: Im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes liegt nach monatelangen Streiks ein Kompromisspaket auf dem Tisch. Ab März 2024 sollen die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen im Schnitt rund elf Prozent mehr Gehalt bekommen. Bis dahin ist ein steuer- und abgabenfreier Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro in Teilzahlungen vorgesehen, um die Folgen der Inflation für die Beschäftigten abzufedern. Auch wenn die Gewerkschaftsmitglieder dem Ergebnis noch bis Mitte Mai zustimmen müssen, sind unbefristete Streiks in städtischen Kindertagesstätten, Krankenhäusern oder bei der Müllabfuhr vorerst abgewendet. Doch die Kommunen bangen um ihre Finanzen.

„Wir sind ausgepresst wie eine ausgepresste Zitrone“

Bundesweit soll der neue Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 24 Monaten die Kommunen mit 17 Milliarden Euro belasten. Für Nordrhein-Westfalen schätzt der Vorsitzende des Städtetages NRW, Thomas Kufen, die Mehrkosten für die kommunalen Arbeitgeber:innen auf 2,8 Milliarden Euro. In der RHEINISCHEN POST spricht er von einem „Kraftakt für die Städte in NRW“ und warnt: „Für die zahlreichen finanzschwachen Städte in NRW mit strukturellen Haushaltsproblemen, hohen Sozialausgaben und hohen Defiziten sind die zusätzlichen Ausgaben schwer zu stemmen.“ Auch in der Ruhrgebietsstadt Marl treibt der Tarifabschluss den Stadtspitzen Sorgenfalten auf die Stirn: „Wir sind ausgepresst wie eine ausgepresste Zitrone, da ist nicht mehr viel zu machen“, bekennt Bürgermeister Werner Arndt (SPD) gegenüber SAT.1.

Trotz der hohen Belastungen für die kommunalen Haushalte begrüßt NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst (CDU) die Einigung im Tarifstreit. In seiner Rede zum Tag der Arbeit in Duisburg lobte er, die Lohnerhöhung könne dazu beitragen, den Staatsdienst wieder attraktiver zu machen: „Denn: Ohne die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst ist kein Staat zu machen!“, betonte Wüst.

Ist die Einigung beim öffentlichen Dienst ein guter Kompromiss?

Acht Perspektiven

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„Öffentlicher Dienst: Ein schmerzhafter Friedensschluss“

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), 23.04.2023 - Michael Minholz

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Redakteur Michael Minholz sieht in dem Lohnplus für die Beschäftigten von Bund und Kommunen den richtigen Schritt. Wenn die „Abertausenden“, die in Deutschland im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, in existenzielle Nöte geraten, müsse darauf reagiert werden: „Lohnerhöhungen sind nichts Unanständiges, und in Zeiten quasi galoppierender Inflation erst recht nicht“, meint er in der WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG (WAZ).

Zwar sei es ein „schmerzhafter Friedensschluss“. Doch Minholz ist überzeugt: Die Arbeitgeber:innen werden den Kompromiss stemmen können – „sonst wäre nicht vollmundig von der so gerne ins Feld geführten ‚finanziellen Belastungsgrenze‘ die Rede“, argumentiert er. „Das allgemeine Wehklagen der Beteiligten über den gefundenen Kompromiss gehört zur normalen Klaviatur am Ende moderner Tarifauseinandersetzungen“, so der Kommentator.

In seinen Augen sollte der Kompromiss auch als Richtschnur für die anhaltenden Tarifverhandlungen für Beschäftigte an Flughäfen und bei der Bahn dienen: Denn die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) lege mit ihren Streiks auch weiterhin den Verkehr lahm. „Es wird Zeit, dass auch hier was positiv in Bewegung kommt“, plädiert Minholz. Längst habe die Arbeitgeberseite klare Signale gegeben, sich am Volumen des öffentlichen Dienstes orientieren zu wollen. Doch dem stehe die EVG bislang mit einer „sturen Ablehnung“ gegenüber.

Anmerkungen der Redaktion

Michael Minholz ist Redakteur in der Mantelredaktion der NEUEN RUHR ZEITUNG (NRZ). Dort ist er auch als Blattmacher tätig. Sein Schwerpunkt liegt auf Politik. Minholz schreibt darüber hinaus für die Tageszeitung WAZ, die Nachrichtenplattform DER WESTEN sowie die WESTFALENPOST.

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG (WAZ) ist die größte deutsche Regionalzeitung. Erstmals erschien sie im Jahr 1948. Ihr Hauptsitz ist in Essen, sie erscheint jedoch im gesamten Ruhrgebiet. Im Laufe der Jahre wurden mehrere andere Zeitungen aufgekauft und die „Zeitungsgruppe WAZ“ entstand, die 1997 in „WAZ-Mediengruppe“ umbenannt wurde. Heute wird die WAZ von der Funke-Mediengruppe herausgegeben. Überregionale Themen werden von der Zentralredaktion in Berlin bearbeitet. Chefredakteur der WAZ ist Andreas Tyrock mit seinem Stellvertreter Alexander Marinos. Die Geschäftsführung übernehmen Andrea Glock, Simone Kasik, Thomas Kloß und Christoph Rüth. Wie zahlreiche andere Zeitungen hat auch die WAZ-Mediengruppe stark mit sinkenden Auflagezahlen zu kämpfen. Im dritten Quartal 2022 lag diese bei rund 389.000 verkauften Exemplaren, zu Beginn des Jahrtausends waren es noch knapp dreimal so viele. Dennoch ist die WAZ nach wie vor die größte regionale Tageszeitung in Deutschland.

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„Zu teuer – aber auch innovativ“

Rheinische Post (RP), 23.04.2023 - Martin Kessler

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Kompromiss im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes ist gelungen, findet der Politikressort-Leiter Martin Kessler. Ja, er sei teuer. „Ein Sieg der Vernunft war er aber trotzdem“, bilanziert der Journalist in seinem Kommentar für die Tageszeitung RHEINISCHE POST (RP).

Nicht nur sei es endlich geglückt, die „ständigen Dauerstreiks“ zu beenden – und zwar mit dem höchsten Tarifabschluss in der jüngeren Geschichte. Kessler hält diesen zudem für so gut durchdacht, dass er das Risiko einer drohenden Lohn-Preis-Spirale trotz der Lohnerhöhungen eindämme. Zu verdanken sei das der steuer- und abgabenfreien Einmalzahlung von 3000 Euro: Diese wirke als sofortiger Inflationsausgleich, ohne jedoch das Lohnniveau zu stark ansteigen zu lassen und damit weitere Preissteigerungen zu provozieren. „Das ist der innovative Beitrag des jetzigen Tarifabschlusses“, findet der Autor.

Für die niedrigen Lohngruppen wie Reinigungshilfen übersteige der Gehaltszuwachs zudem die Preissteigerungsraten für 2023 und 2024. Am Ende bleibe also real deutlich mehr im Portemonnaie. „Es sei den hart arbeitenden Menschen gegönnt“, so Kessler. Jedoch habe die verhandelnde Gewerkschaft Verdi das nur durchsetzen können, weil der öffentliche Dienst – anders als die Metall- oder Chemieindustrie – nicht im internationalen Wettbewerb steht.

Anmerkungen der Redaktion

Martin Kessler ist als Leitender Politikredakteur bei der RHEINISCHEN POST (RP) angestellt. Er hat in Köln Volkswirtschaft studiert und in Duisburg promoviert. Danach arbeitete er als Wirtschaftsredakteur und Bonner Korrespondent für die WIRTSCHAFTSWOCHE. Nach seinem Wechsel zur RP war er unter anderem Finanzkorrespondent in der Parlamentsredaktion in Bonn, Leiter der Wirtschaftsredaktion in Düsseldorf und Chef der Parlamentsredaktion in Berlin. Seit 2010 leitet er bei der RP die Politikredaktion.

Die RHEINISCHE POST (RP) ist eine regionale Tageszeitung, die zur „Rheinische Post Mediengruppe“ gehört. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf Nordrhein-Westfalen. Die Zeitung wurde 1946 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Düsseldorf. Chefredakteur ist Moritz Döbler. Laut einem Ranking von KRESS.DE war die RHEINISCHE POST die zweitmeist zitierte Regionalzeitung Deutschlands. Die verkaufte Auflage lag im vierten Quartal 2022 bei rund 240.000 Exemplaren. Das entspricht einem Minus von 40 Prozent seit 1998. Trotzdem dominiert die RHEINISCHE POST laut ÜBERMEDIEN den Markt Düsseldorfer Lokalzeitungen und hat andere Lokalangebote weitestgehend verdrängt. Für die Berichterstattung über einen Fall mehrfacher Kindstötung in Solingen hat die RHEINISCHE POST zusammen mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und der BILD eine Rüge des Presserats erhalten. Die RHEINISCHE POST hatte Chatnachrichten eines Kindes veröffentlicht. Die RP gilt als liberal-konservatives Blatt, das politisch der CDU nahesteht. Sie beschreibt sich selbst als „Zeitung für Politik und christliche Kultur“, die für „Demokratie, Freiheit und Menschenwürde“ eintritt.

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„Viel, aber fair“

Die Zeit, 26.04.2023 - Carla Neuhaus

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Die Tarifeinigung ist fair und sozial gerecht, findet die Wirtschaftsredakteurin Carla Neuhaus. In der Wochenzeitung DIE ZEIT lobt sie, der Kompromiss von Bund, Kommunen und Gewerkschaften trage einer „neuen Realität“ Rechnung: „dass Deutschland ärmer wird und dass manche wohlhabende Menschen die Kosten der Krise tragen müssen“.

Neuhaus argumentiert, die Einmalzahlung von insgesamt 3000 Euro falle vor allem für diejenigen stark ins Gewicht, die weniger verdienen: „Eine Pflegekraft bekommt mit dem Tarifabschluss hochgerechnet 18 Prozent mehr, ein Jurist in der Verwaltung 12,5 Prozent“, schreibt die Autorin. Genau dieses Detail macht den Kompromiss in ihren Augen besonders sozialverträglich: „Denn auch wenn alle etwas mehr Geld bekommen, erhalten nicht alle gleich viel mehr.“
 
Laut Neuhaus waren etliche Geringverdienende zuletzt kaum noch imstande, ihre Lebensmittel zu bezahlen – darunter auch Erzieher:innen, Müllwerker:innen und Busfahrer:innen. Dem steuere der Tarifabschluss endlich entgegen: „Nun erhalten sie zu Recht mehr Geld, zumindest wenn sie im öffentlichen Dienst arbeiten“, unterstreicht die Redakteurin.

Anmerkungen der Redaktion

Carla Neuhaus ist Wirtschaftsredakteurin bei der ZEIT. Zuvor leitete sie das Wirtschaftsressort beim TAGESSPIEGEL und später beim FOCUS MAGAZIN. Daneben arbeitete sie unter anderem für den RBB, die STIFTUNG WARENTEST und die WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN. Neuhaus schreibt vor allem über Banken, Finanzen und Geldanlagen. 2017 war sie Finalistin beim Deutschen Journalistenpreis. Neuhaus hat in Münster und Washington Volkswirtschaftslehre studiert. An der Electronic Media School in Potsdam hat sie ihre Ausbildung zur Wirtschafts- und Verbraucherjournalistin gemacht.

DIE ZEIT ist die größte deutsche Wochenzeitung und hat ihren Sitz in Hamburg. DIE ZEIT erscheint seit 1946 und wurde von ihren ersten beiden Chefredakteuren Ernst Samhaber und Richard Küngel zunächst als rechts-konservatives Blatt ausgelegt. Erst in den 1960er Jahren wurde die Wochenzeitung durch Marion Gräfin Dönhoff und den langjährigen Chefredakteur Theo Sommer als liberales Medium ausgerichtet. Dönhoff prägte DIE ZEIT bis 2002 und hat sie von 1968 bis 1972 herausgegeben, ab 1983 gemeinsam mit Altkanzler Helmut Schmidt (SPD). In gesellschaftspolitischen Fragen gilt DIE ZEIT als grundsätzlich (links-)liberal, hat allerdings auch viele Gastbeiträge aus dem gesamten Meinungsspektrum oder stellt Beiträge mit gegensätzlichen Meinungen gegenüber. Der NDR urteilt, DIE ZEIT gelte als „Blatt der Akademiker und Intellektuellen“ — und sei damit durchaus erfolgreich. Tatsächlich gehört DIE ZEIT zu den wenigen deutschsprachigen Printmedien, die seit der Digitalisierung an Auflage gewonnen haben. Zuletzt lag diese bei 621.365 Exemplaren (3. Quartal 2022).

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„Die Politik darf die Bürger nicht gegen die Streikenden ausspielen“

Der Spiegel, 01.05.2023 - Marcel Fratzscher

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Kompromiss von Bund, Kommunen und Gewerkschaften wird auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen, befürchtet der Ökonom Marcel Fratzscher: „Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst könnte sich katastrophal auf viele Kommunen in Deutschland auswirken und zu empfindlichen Einschränkungen der Daseinsvorsorge führen“, warnt er in seinem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL.

30 Prozent der Kommunen in Deutschland seien überschuldet und somit nicht fähig, die zusätzlichen 17 Milliarden Euro der Lohnsteigerungen zu schultern. Diese „katastrophale Finanzsituation“ schade nicht nur dem öffentlichen Leben, sondern auch der Wirtschaft: „Denn auch Unternehmen brauchen leistungsfähige Kommunen und gute Rahmenbedingungen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können – zumal die Kommunen knapp die Hälfte aller öffentlichen Investitionen in Deutschland leisten“, gibt Fratzscher zu bedenken.

Der Ökonom appelliert an Bund und Länder, die Kommunen zu stärken: „Dies erfordert eine grundlegende Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs, sodass finanz- und strukturschwache Kommunen systematisch bessergestellt werden und mehr Autonomie über ihre Finanzen erhalten.“ Zudem fordert Fratzscher eine Entschuldung der knapp 30 Prozent der Kommunen, denen heute jegliche Flexibilität fehle – denn ohne starke Kommunen seien gleichwertige und gute Lebensbedingungen in Deutschland nicht zu haben.

Anmerkungen der Redaktion

Marcel Fratzscher ist Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Er ist außerdem Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor hat er für die Europäische Zentralbank gearbeitet und dort auch die Abteilung International Policy Analysis geleitet, die dafür zuständig ist, Politikpositionen der Europäischen Zentralbank über internationale Themen zu formulieren. Beim HANDELSBLATT-Ökonomen-Ranking 2011 wurde Fratzscher auf dem vierten Platz gelistet. 2016 wurde er in der FAZ-Rangliste der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland in den Top 10 gelistet. Marcel Fratzscher tritt häufig zu wirtschaftlichen Themen in den Medien auf. So hatte er beispielsweise einen öffentlichen Disput mit Professor Lars Feld, einem der Wirtschaftsweisen der Bundesregierung bezüglich des Kurzarbeitergeldes als Mittel für die Wirtschaftspolitik in Zeiten von Covid-19. Im Kampf gegen die wachsende Vermögensungleichheit in Deutschland wirbt Fratzscher für eine Änderung bestehender Erbschaftsgesetze.

DER SPIEGEL ist ein deutsches Nachrichtenmagazin, das 1947 von Rudolf Augstein gegründet worden und zuletzt (3/22) in einer Auflage von rund 730.700 Exemplaren erschienen ist. Die Gesamtauflage ist damit im Vergleich zum ersten Quartal 2022 um 8,3 Prozent gestiegen. DER SPIEGEL zählt zu den deutschsprachigen Leitmedien: Er prägt die gesellschaftliche Debatte und Öffentlichkeit. In den Jahren 2019 und 2020 war das Magazin das meistzitierte Medium in Deutschland. Eine besondere Rolle im Magazin nimmt bis heute der investigative Journalismus ein. 1963 führten eine solche Recherche und die sogenannte SPIEGEL-Affäre dazu, dass der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß sein Amt räumen musste. DER SPIEGEL wird traditionell als eher linksliberales Medium gesehen, auch in Abgrenzung zu den anderen großen deutschen Nachrichtenmagazinen, dem FOCUS und dem STERN. Bereits Gründer Rudolf Augstein verortete sein Magazin „im Zweifel links“. 1994 wurde der dem SPIEGEL zugehörige, aber redaktionell unabhängige Online-Nachrichtendienst SPIEGEL ONLINE gegründet. Seit dem 8. Januar 2020 heißt auch das Online-Portal DER SPIEGEL, nachdem die Redaktionen der beiden Medien 2019 zusammengelegt wurden. Dennoch ist das Online-Portal immer noch rechtlich und wirtschaftlich unabhängig, da es von einer Tochtergesellschaft betrieben wird. DER SPIEGEL (online) zählt zu den fünf meistbesuchten Nachrichten-Webseiten in Deutschland. 2018 wurde bekannt, dass der langjährige Mitarbeiter Claas Relotius wesentliche Inhalte von (teils preisgekrönten) SPIEGEL-Reportagen erfunden hatte. Hiernach reichte Relotius seine Kündigung ein. Das Blatt sprach von „einem Tiefpunkt in der 70-jährigen Geschichte des SPIEGEL“.

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„Nach Einigung im Öffentlichen Dienst bleiben Fragen offen“

ND, 27.04.2023 - Simon Poelchau

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Wirtschaftsredakteur Simon Poelchau hält den „höchsten Tarifabschluss in der Nachkriegsgeschichte“ für heiße Luft. „Denn zur Wahrheit (…) gehört auch, dass die rund 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen unterm Strich sogar weniger statt mehr Geld in den Taschen haben werden“, konstatiert er in der Tageszeitung ND (ehemals NEUES DEUTSCHLAND).

Unmittelbar nach den Verhandlungen habe Verdi-Chef Frank Werneke erklärt, seine Gewerkschaft sei mit der Einigung an die Schmerzgrenze gegangen. „Überschwänglicher Jubel sieht anders aus“, meint Poelchau. Gleichzeitig sei das wenig überraschend: „Denn auch die Inflation ist ungewöhnlich hoch und frisst sofort wieder alles auf.“ Für die Beschäftigten von Bund und Kommunen sei das nicht zufriedenstellend.

„Angesichts der nun bleibenden Reallohnverluste kann man nun streiten, ob Verdi dem Schlichtungsergebnis zu vorschnell zugestimmt hat“, räumt Poelchau ein. Denn auch „die Probe auf Exempel“ sei denkbar gewesen – mit einer Urabstimmung zu einem unbefristeten Streik. „Die Frage, ob die Beschäftigten dann hätten mehr herausschlagen, vielleicht sogar ein Reallohnplus erreichen können, bleibt nun unbeantwortet.“

Anmerkungen der Redaktion

Simon Poelchau ist Journalist, Redakteur und Wirtschaftsexperte. Seit 2012 ist er Redakteur bei der linken Tageszeitung ND (ehemals: NEUES DEUTSCHLAND) und arbeitet dort im Wirtschaftsressort. Er schreibt hauptsächlich Analysen über Banken und die Ursachen der europäischen Finanzkrise, aber verfasst auch Kommentare zu gesellschaftlichen Themen und berichtet über das Handeln der Gewerkschaften. Poelchau hat auch für die Linkspartei-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung publiziert. Er hat Philosophie und Volkswirtschaft an der Freien Universität in Berlin studiert.

ND (ehemals NEUES DEUTSCHLAND) ist eine überregionale Tageszeitung, die einen „Journalismus von links“ vertreten möchte. Im zweiten Quartal 2022 lag die verkaufte Auflage der ND bei rund 16.000 Exemplaren. Zu DDR-Zeiten war sie das publizistische Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und gehörte nach der Wende der Partei PDS. Deren Nachfolgepartei DIE LINKE besaß bis Ende 2021 noch 50 Prozent der Anteile an der Zeitung. Seit 2022 wird die Zeitung von einer Genossenschaft herausgegeben und gehört den Leser:innen und Mitarbeiter:innen aus Redaktion und Verlag. ND beschreibt sich selbst als Tageszeitung, „die mit linkem Ideengut über den Tellerrand des journalistischen Alltags hinausdenkt“. Die Konrad-Adenauer-Stiftung bescheinigt der Zeitung eine einseitige Berichterstattung: Marktwirtschaft sei „Kapitalismus“, westliche Außenpolitik „Imperialismus“. Außerdem sei die Zeitung DDR-nostalgisch. So sei ND bis zur Wende 1989 „Organ des Zentralkomitees“ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gewesen, berichtet der SPIEGEL. ND selbst bezeichnet ihr DDR-Format als „trockenes Partei- und Staatsblatt, das sich nach 1990 im kapitalistischen Deutschland neu erfinden musste“.

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„Mehr Geld im öffentlichen Dienst: Gut für die Beschäftigten, schlecht für andere“

Berliner Zeitung (BZ), 24.04.2023 - Anne-Kattrin Palmer

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Redakteurin Anne-Kattrin Palmer bereitet die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst Sorgen. Irgendjemand müsse schließlich die Zeche für die Lohnerhöhungen zahlen: „Letztendlich wird sich das dann auch auf die Bürgerinnen und Bürger auswirken“, befürchtet sie in der BERLINER ZEITUNG (BLZ).

Palmer ist überzeugt, dass die Kommunen einen Teil der gestiegenen Löhne durch höhere Gebühren kompensieren werden: etwa bei Eintrittsgeldern im Schwimmbad oder Investitionen in Kitas, die plötzlich warten müssen. „Und da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz“, so Palmer. Denn 17 Milliarden Euro seien durch die Kommunen nicht aus eigener Kraft aufzubringen.

Gemeinden, die ohnehin unter einer schwierigen Finanzlage leiden, treffe der Tarifabschluss besonders hart. Daher müsse die Politik endlich eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen sicherstellen. Zumal das Problem nicht neu sei: „Viele Kämmerer ächzen seit Jahren schon unter den Kosten“, so Palmer.

Anmerkungen der Redaktion

Anne-Kattrin Palmer ist Journalistin und Redakteurin für die BERLINER ZEITUNG. Seit 2011 arbeitet sie dort im Bereich Politik und Gesellschaft. Ihre Schwerpunkte sind Innenpolitik und soziale Themen. Palmer hat außerdem bereits für die HAMBURGER MORGENPOST, die FRANKFURTER RUNDSCHAU wie den KÖLNER STADTANZEIGER geschrieben.

Die BERLINER ZEITUNG (BLZ) ist eine Tageszeitung aus Berlin. Sie ist erstmals im Jahr 1945 erschienen. In ihrer Gründerzeit hatte sie den Untertitel „Organ des Kommandos der Roten Armee“ und ist 1953 dem Zentralkomitee der SED unterstellt worden. Nach der Wende sollte sie zur Hauptstadt-Zeitung werden und hat mehrfach ihre Besitzer gewechselt, bis sie Ende 2019 von dem Berliner Ehepaar Friedrich aufgekauft worden ist. Die Auflage lag im ersten Quartal 2021 bei rund 81.600 Exemplaren, was einen Rückgang von rund 68 Prozent seit Beginn des Jahrtausends darstellt. Seitdem werden keine Auflagezahlen mehr veröffentlicht. Das Ehepaar Friedrich ist seit der Übernahme 2019 bereits mehrfach kritisiert worden, in die redaktionellen Abläufe einzugreifen und die journalistische Sorgfaltspflicht zu verletzen. Der Presserat hat einen wohlwollenden, mangelhaft gekennzeichneten Bericht über eine Biotech-Firma, bei der Friedrich im Aufsichtsrat sitzt, gerügt. Anfang 2020 hat der Chefredakteur Matthias Thieme bereits nach drei Wochen seinen Vertrag nach internen Unstimmigkeiten gekündigt. Der Posten des Chefredakteurs war seitdem unbesetzt. Laut eigenen Angaben ist seit dem 1. Juli 2022 nun Thomasz Kurianowicz Chefredakteur der BLZ. Bislang (Stand: März 2023) steht Kurianowicz noch nicht als Verantwortlicher im Impressum. Dort ist stattdessen Margit J. Mayer, Mitglied der Chefredaktion, als verantwortlich angegeben. Die BLZ ist nicht zu verwechseln mit der seit 1877 erscheinenden Boulevard-Zeitung B.Z. (Berliner Tageszeitung).

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„Digitalatlas Armut: Siegburg hat die höchsten, Salzkotten die niedrigsten Schulden“

Westdeutscher Rundfunk (WDR), 27.11.2022 - Cedrik Pelka

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Die Perspektive in 30 Sekunden

„Die Schuldenlast in den NRW-Kommunen klafft weit auseinander“, stellt der Politikjournalist Cedrik Pelka fest. Im WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) skizziert er das obere und untere Ende der nordrhein-westfälischen Schuldenskala.

Laut Pelka wird die Schuldentabelle im bevölkerungsreichsten Bundesland von Siegburg angeführt: Die Stadt im Rhein-Sieg-Kreis stehe so tief in der Kreide wie kein anderer Ort. „Hier ist die Pro-Kopf-Verschuldung laut dem Statistischen Landesamt IT.NRW am höchsten: 11.577 Euro Schulden pro Einwohnerin und Einwohner“, so der Politikjournalist. Siegburgs Bürgermeister Stefan Rosemann (SPD) führe die schlechte Finanzlage seiner Stadt vor allem auf die hohen Investitionen in Schulen und Kitaplätze zurück, aber auch auf massive Ausgaben für Straßen und Infrastruktur. Diese seien nötig, um als Stadt attraktiv zu bleiben.

Ganz anders beschreibt der Autor die Lage im münsterländischen Raesfeld und im ostwestfälischen Salzkotten: Während Raesfeld für 2021 rund 36 Euro Schulden pro Kopf aufweist, liegt die Pro-Kopf-Verschuldung in Salzkotten mit knapp sieben Euro am niedrigsten. Für den Raesfelder Bürgermeister Martin Tesing (CDU) hat das auch mit Generationengerechtigkeit zu tun: „Ich will unseren Kindern keinen riesigen Schuldenberg überlassen.“ Um Geld einzusparen, werde jede potenzielle Ausgabe zweimal geprüft: So verzichtete Raesfeld etwa auf den Bau eines teuren Schwimmbads und richtete anstelle dessen einen Badebus ein, der kostenlos die Schwimmbäder der Nachbarorte anfährt.

Nach Einschätzung des Ökonomen Tobias Hentze vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sind die unterschiedlichen Schuldenlasten aber auch auf strukturelle Gegebenheiten zurückzuführen. So müsse etwa das Ruhrgebiet vielerorts große Summen dafür aufwenden, laufende Sozialhilfekosten zu begleichen. In anderen Städten sei die Arbeitslosigkeit dagegen viel geringer und die Steuereinnahmen damit höher. Insgesamt liegt die Schuldensumme der nordrhein-westfälischen Gemeinden laut des Beitrags bei rund 60 Milliarden Euro. In der Landespolitik werde daher schon länger über einen Schnitt der kommunalen Altschulden diskutiert.

Anmerkungen der Redaktion

Cedrik Pelka ist freier Journalist. Er arbeitet für die TAZ, den WDR und DEUTSCHLANDFUNK NOVA. Dort schreibt er über Politik und Gesellschaft, bei der TAZ mit besonderem Fokus auf queere Themen und beim WDR auf Landespolitik in NRW. In der Vergangenheit hat er bereits für das RADIO ESSEN und die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG geschrieben. Pelka studierte Journalistik sowie Philosophie und Politikwissenschaft an der TU Dortmund. Sein Volontariat macht er beim WDR.

Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2021“ erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im Januar 2023 laut Similarweb rund 14,3 Millionen Besuche zu verzeichnen.

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„‚Historisch hohe Steigerung‘“

Westfalenspiegel, 27.04.2023 - Georg Lunemann

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Durch die Tarifeinigung kommen immense Kostensteigerungen auf die kommunalen Betriebe zu. Wie wirkt sich der Tarifabschluss für sie aus? Diese Frage beantwortet Georg Lunemann, der Direktor des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), in der Kulturzeitschrift WESTFALENSPIEGEL.

Als einer der größten kommunalen Arbeitgeber:innen NRWs beschäftigt der LWL nahezu 20.000 Menschen in Verwaltung, Kultur, Psychiatrie, Maßregelvollzug, Schule und Jugendhilfe. Den finanziellen Mehraufwand an Personalkosten beziffert Lunemann auf rund 33 Millionen Euro in 2023 und rund 89 Millionen EUR in 2024. Daneben finanziere der LWL aber auch umfangreiche soziale Leistungen für Menschen mit Behinderung. „Diese sind ebenfalls maßgeblich durch die tarifliche Entwicklung bestimmt“, unterstreicht Lunemann. Für 2023 rechne er daher mit einer Mehrbelastung von rund 110 Millionen Euro, für 2024 mit rund 240 Millionen Euro.

Getragen werde der Mehraufwand anteilig durch die Kommunen, das Land und die Krankenkassen. Mit Blick auf das Jahr 2023 äußert Lunemann sich optimistisch: „In der Haushaltsplanung 2023 (…) ist bereits ein Großteil der jetzt absehbaren Mehrkosten berücksichtigt worden.“ Auch durch die eigenen Rücklagen könne ein Teil aufgefangen werden. Im Jahr 2024 falle die Mehrbelastung aber deutlich stärker ins Gewicht. Hier komme den Kommunen eine besondere Bedeutung zu: „Da sich gleichzeitig die Steuereinnahmen des Landes trotz hoher Inflation nur auf niedrigem Niveau entwickeln, muss ein großer Teil (…) an die Kreise und kreisfreien Städte weitergereicht werden.“

Parallel werde der LWL ein weiteres Sparprogramm auflegen, innerhalb dessen sämtliche Aufgaben kritisch beleuchtet werden. „Allein mit dem letzten Konsolidierungsprogramm hat der LWL einen Sparbeitrag von fast 150 Millionen geleistet“, betont Lunemann. Doch den Sparbemühungen seien Grenzen gesetzt: etwa durch demografische Strukturen, gesetzliche Entwicklungen oder Tarifabschlüsse wie den jüngsten. Trotz der finanziellen Herausforderungen ringt Lunemann der Tarifeinigung aber auch positive Effekte ab: Immerhin mache das Lohnplus das Unternehmen wieder attraktiver für Fachkräfte.

Anmerkungen der Redaktion

Georg Lunemann ist Politiker (CDU) und seit 2022 Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Zuvor war er dort Kämmerer und Erster Landesrat, zuständig unter anderem für Finanzen, Digitalisierung und Klimaschutz. Lunemann war bis 2015 Kämmerer der Stadt Gelsenkirchen und von 1998 bis 2010 in verschiedenen leitenden Positionen beim LWL tätig. Von 1987 bis 1997 absolvierte er eine Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr. Er studierte und promovierte in Wirtschaftswissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg.

Der WESTFALENSPIEGEL ist eine Zeitschrift für Westfalen-Lippe, die sechsmal im Jahr im Ardey-Verlag (Münster) erscheint und seit Oktober 1951 herausgegeben wird. Ursprüngliche Herausgeber der Zeitschrift waren der Westfälische Heimatbund und der Landesverkehrsverband Westfalen. Die Zeitschrift erschien anfangs im Monatsrhythmus und sollte „ein Spiegel des westfälischen Lebens“ sein. Der WESTFALENSPIEGEL ist eines der ältesten regionalen Kulturmagazine in Deutschland. Die Zeitschrift wird über Abonnements, Museumsshops und über den Zeitschriftenhandel vertrieben. Finanziell unterstützt werden der Verlag und das Magazin vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Beide sind damit Teil der Kulturförderung in Westfalen-Lippe. Das Magazin berichtet über ein großes Spektrum der westfälischen Kulturszene. Von Kunst, Literatur, Politik, Musik, Städten und Landschaften ist alles dabei. Jedes Heft setzt einen Schwerpunkt. Das kann Satire sein, aber auch Fotografie oder „Kioskkultur“.