Jedes vierte Kind in NRW von Armut bedroht: Ist den Familien mit der vom Bund beschlossenen Kindergrundsicherung geholfen?
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Kurzfassung
Mehr als jedes vierte Kind in NRW ist von Armut bedroht: LautDaten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, die der WDR zitiert, sind 27 Prozent der Minderjährigen in NRW von Armut gefährdet. Mit der Kindergrundsicherung soll Familien und Kindern künftig „einfach, unbürokratisch und bürgernah“ geholfen werden: Ende August einigten sich Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Linder (FDP) nach monatelangem Ringen auf die Eckpunkte der Reform.
Ab 2025 sollen demnach diverse familienpolitische Leistungen gebündelt werden, um Berechtigten den Zugriff darauf zu erleichtern: etwa Kindergeld, Kinderzuschlag und Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes. 2,4 Milliarden Euro plant die Ampelregierung zusätzlich für die Kindergrundsicherung bereitzustellen. Das sind zwar deutlich weniger als die ursprünglich von Paus geforderten 12 Milliarden. Dennoch wertet die Ministerin den erzielten Kompromiss als Erfolg: als „umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren“.
Sozialverbände befürchten Verwaltungsreform statt Sozialreform
Doch Sozialverbände kritisieren, die beschlossene Kindergrundsicherung greife zu kurz. „Da nun erst einmal ein neues digitales Portal zur Antragstellung errichtet und neue Verwaltungsstrukturen geschaffen werden müssen, befürchten wir, dass die veranschlagten 2,4 Milliarden zu großen Teilen der Verwaltung und nicht den armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen zugutekommen“, räumt etwa der Landesgeschäftsführer des Wohlfahrtsverbands Arbeiter-Samariter-Bund NRW, Dr. Stefan Sandbrink, in einer Stellungnahme ein.
Ist den Familien mit der Kindergrundsicherung geholfen?
Acht Perspektiven
Die Perspektive in 30 Sekunden
Der wirtschaftspolitische Korrespondent Mark Schieritz betrachtet die beschlossene Kindergrundsicherung als wichtigen Schritt, um die Kinderarmut in Deutschland einzudämmen. „Mit diesem Kompromiss ist das Fundament für eine Verbesserung der materiellen Lage von Kindern in Deutschland gelegt“, kommentiert er in seiner Kolumne in der Wochenzeitung DIE ZEIT.
Aus seiner Sicht hat Bundesfamilienministerin Paus (Grüne) möglicherweise mehr erreicht, als es die Zahlen zunächst nahelegen. Denn auch wenn für das Jahr 2025 zunächst nur 2,4 Milliarden Euro veranschlagt wurden, sei die Aussagekraft solcher Zahlen begrenzt. „Wenn deutlich mehr Berechtigte die ihnen zustehenden Leistung abrufen, dann reichen die 2,4 Milliarden im Haushalt nicht. Es fließt also mehr Geld“, so Schieritz.
Zudem richte sich die Höhe der Kindergrundsicherung nach dem sogenannten soziokulturellen Existenzminimum. Da dieses künftig neu berechnet werden solle, könne die Kindergrundsicherung auch über diese Stellschraube ausgeweitet werden. „Die Kindergrundsicherung ist also dynamisiert – die Zahlungen sind an die Wirtschaftsentwicklung gekoppelt“, hebt Schieritz hervor.
Anmerkungen der Redaktion
Mark Schieritz ist wirtschaftspolitischer Korrespondent im Hauptstadtbüro der ZEIT. Zuvor war er Leiter der Finanzmarktredaktion der FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND, die im Jahr 2012 eingestellt wurde. Schieritz hat Politik und Wirtschaftswissenschaften in Freiburg, Harvard und London studiert. 2015 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Der Lohnklau: Warum wir nicht verdienen, was wir verdienen und wer daran schuld ist“.
DIE ZEIT ist die größte deutsche Wochenzeitung und hat ihren Sitz in Hamburg. DIE ZEIT erscheint seit 1946 und wurde von ihren ersten beiden Chefredakteuren Ernst Samhaber und Richard Küngel zunächst als rechts-konservatives Blatt ausgelegt. Erst in den 1960er Jahren wurde die Wochenzeitung durch Marion Gräfin Dönhoff und den langjährigen Chefredakteur Theo Sommer als liberales Medium ausgerichtet. Dönhoff prägte DIE ZEIT bis 2002 und hat sie von 1968 bis 1972 herausgegeben, ab 1983 gemeinsam mit Altkanzler Helmut Schmidt (SPD). In gesellschaftspolitischen Fragen gilt DIE ZEIT als grundsätzlich (links-)liberal, hat allerdings auch viele Gastbeiträge aus dem gesamten Meinungsspektrum oder stellt Beiträge mit gegensätzlichen Meinungen gegenüber. Der NDR urteilt, DIE ZEIT gelte als „Blatt der Akademiker und Intellektuellen“ – und sei damit durchaus erfolgreich. Tatsächlich gehört DIE ZEIT zu den wenigen deutschsprachigen Printmedien, die seit der Digitalisierung an Auflage gewonnen haben. Zuletzt lag diese bei rund 619.000 Exemplaren (IVW Q2/2023).
„Die Kindergrundsicherung beseitigt Kinderarmut nicht - aber sie macht Eltern das Leben leichter“
Nürnberger Nachrichten (NN), 28.08.2023 - Manuel Kugler
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Redakteur Manuel Kugler glaubt, dass die beschlossene Kindergrundsicherung das Leben sozial schwacher Eltern leichter macht. Zwar dürfe der Kompromiss nicht als Sieg über die Kinderarmut in Deutschland gewertet werden. „Deutschland aber wird mit der Kindergrundsicherung ein Stück einfacher“, schreibt er in seinem Kommentar in der Tageszeitung NÜRNBERGER NACHRICHTEN (NN).
Bisher stehe eine Familie „einem Dickicht“ verschiedenster staatlicher Leistungen für Kinder gegenüber. Dabei sei vielen gar nicht klar, welche Hilfen sie wo beantragen können – zumal viele Eltern mit der Kindererziehung oft bereits mehr als ausgelastet seien. „Die Folge: Gelder, die für Familien gedacht sind, werden von den Betroffenen gar nicht abgerufen“, gibt Kugler zu bedenken.
Dieses Problem werde durch die Kindergrundsicherung endlich gelöst – und das sei ein Gewinn für Kinder und Jugendliche. „Gewonnen haben aber vor allem: deren Eltern“, unterstreicht Kugler.
Anmerkungen der Redaktion
Manuel Kugler ist Journalist und Redakteur bei den NÜRNBERGER NACHRICHTEN und der NÜRNBERGER ZEITUNG, die beide dem Verlagshaus Nürnberger Presse gehören. Kugler schreibt hauptsächlich für das Onlineportal der beiden Blätter. In der Zentralredaktion NORDBAYERN.DE, welche die NÜRNBERGER NACHRICHTEN und die NÜRNBERGER ZEITUNG bespielt, ist Kugler stellvertretender Ressortleiter im Ressort Politik und Wirtschaft. Kugler hat Politikwissenschaft studiert. Nachdem er schon während seines Studiums für einen Lokalteil der NÜRNBERGER NACHRICHTEN geschrieben hatte, begann er 2010 ein Volontariat bei der Zeitung. Seit 2014 arbeitet er in der Politikredaktion.
Die regionale Tageszeitung der NÜRNBERGER NACHRICHTEN (NN) versorgt Bayern, vor allem die Region Mittelfranken, seit 1945 mit den aktuellen Informationen. Konkret werden die Regionen von Nürnberg, Fürth und Erlangen bei der Berichterstattung priorisiert. Die Lokalzeitung ist das Hauptprodukt des Verlages Nürnberger Presse (VNP) und hat im 2. Quartal 2022 rund 205.800 Exemplare verkauft. Neben frei verfügbaren Artikeln auf der Website gibt es auch zahlreiche Artikel unter dem bezahlpflichtigen Abonnement NN+, das Interessierten ein größeres Nachrichtenspektrum bietet. Generell können sich Leser:innen die Informationen über klassische Rubriken wie Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Freizeit bei den NN beschaffen. Als Chefredakteur verantwortlich für die redaktionellen Inhalte ist Michael Husarek. Bärbel Schnell, Sabine Schnell-Pleyer und Erika Gassner bilden die Geschäftsführung.
„Kampf gegen Kinderarmut: Die Fehler der Familienministerin“
Berliner Morgenpost, 28.08.2023 - Christian Kerl
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Die Einigung der Ampelkoalition ist vernünftig, findet der Politik-Korrespondent Christian Kerl. Er sieht in der ausgehandelten Summe von 2,4 Milliarden Euro einen guten Kompromiss: „Den Familien einfach immer mehr Geld zu überweisen, verbessert in vielen Fällen die Lebenschancen der Kinder keineswegs“, betont er in seinem Kommentar in der Tageszeitung BERLINER MORGENPOST.
Nach Kerls Dafürhalten war der Einspruch von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nur konsequent. „Ja, die Kinderarmut ist ein beschämendes Problem in Deutschland“, bekennt er. Aber wer das ernsthaft ändern wolle, der müsse neben dem Abbau von Bürokratie weitere Ansätze verfolgen. So sei es etwa wichtig, Anreize und Qualifikationsangebote zu schaffen, um Eltern dauerhaft in ordentlich bezahlte Arbeitsverhältnisse zu bringen.
Dass der finanzielle Zuschlag für die Familien nun deutlich geringer ausfalle, als die Bundesfamilienministerin Paus (Grüne) es „mit ihrem missglückten Erwartungsmanagement“ in Aussicht gestellt habe, sei zwar bitter. „Doch die ursprünglichen Ausgabenpläne von Paus waren weder finanzierbar noch familienpolitisch sinnvoll“, argumentiert Kerl.
Anmerkungen der Redaktion
Christian Kerl ist Journalist und seit 2015 Teil der Funke Zentralredaktion. Hier berichtet er seit 2017 als Brüsseler Korrespondent der Funke-Mediengruppe über die EU und die Nato. Seine Beiträge erscheinen u.a. bei der BERLINER MORGENPOST und der NEUEN WESTFÄLISCHEN. Davor war er 16 Jahre lang als bundespolitischer Korrespondent im Berliner Hauptstadtbüro der Mediengruppe. Er hat bei der GOSLARSCHEN ZEITUNG volontiert und anschließend für den DEUTSCHEN DEPESCHEN DIENST und die FREIE PRESSE CHEMNITZ gearbeitet. Kerl schreibt ebenfalls regelmäßig Beiträge für die WAZ.
Die BERLINER MORGENPOST ist eine deutsche Tageszeitung aus Berlin. Sie gehört zur Funke Mediengruppe, die verkaufte Auflage lag im zweiten Quartal 2023 laut IVW bei rund 40.000 Exemplaren. Leopold Ullstein hat die Zeitung 1898 gegründet und verlegt, bis sie 1959 vom Axel-Springer-Verlag und 2014 schließlich von der Funke Mediengruppe gekauft wurde. Seit der überraschenden Absetzung von Christine Richter im Jahr 2023 fungiert der Journalist Gilbert Schomaker stellvertretend als Chefredakteur. Unter Richter wurde die MORGENPOST zu einer konservativeren Gegenstimme des eher liberalen Berliner TAGESSPIEGELS. Die BERLINER MORGENPOST finanziert sich über ein Abo-Modell und Anzeigen.
Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Journalist und Autor Jan-Martin Wiarda erkennt in der Kindergrundsicherung nicht das Potenzial, die Situation sozial schwacher Kinder und Jugendlicher zu verbessern. An die Wirkungsmacht einer Reform gegen Kinderarmut zu glauben, die zunächst nur 2,4 Milliarden Euro pro Jahr mehr kosten darf, sei naiv, macht er auf seinem Webblog JMWIARDA deutlich.
Verglichen mit den ursprünglichen Forderungen komme die Kindergrundsicherung jetzt nämlich „in finanzieller Minimalausstattung“ – und weniger Geld bedeute auch weniger Bildungs- und Lebenschancen für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Hierzu verweist Wiarda auf ein Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aus dem Jahr 2020, nach dem es jährlich 11,4 Milliarden Euro brauche, um allen Kindern in Deutschland „das tatsächliche soziokulturelle Existenzminimum“ zu garantieren.
Gleichzeitig findet Wiarda es „schwer erträglich“, welche Summen für andere gesellschaftliche Projekte aufgebracht werden. So koste etwa die vorgezogene Altersrente für besonders langjährig Versicherte Steuerzahler:innen zuletzt 41 Milliarden Euro pro Jahr. „Also fast vier Kindergrundsicherungen a la DGB“, unterstreicht Wiarda. „Doch scheint in diesem Land fast jeder Lobbyismus kraftvoller zu ein als der politische Rückhalt für Kinder und Jugendliche.“
Anmerkungen der Redaktion
Jan-Martin Wiarda ist freier Journalist und Autor. Zuvor war er viele Jahre Redakteur im Bildungsressort der ZEIT, davon einige Jahre als stellvertretender Ressortleiter tätig. Zudem arbeitete er drei Jahre lang als Kommunikationschef der wissenschaftlichen Helmholtz-Gesellschaft. Er hat Journalistik in München studiert und dort zudem eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule abgeschlossen. Seinen Master absolvierte er an der University of North Carolina in den USA. Auf seinem Blog JMWIARDA veröffentlicht er regelmäßig Beiträge zu Bildung, Forschung und Wissenschaftspolitik.
JMWIARDA ist ein 2015 von Jan-Martin Wiarda gegründeter Webblog, der sich hauptsächlich mit Bildungspolitik beschäftigt. Auf seinem Blog nimmt Wiarda linksliberale Positionen ein. Er schreibt zum Beispiel positiv und optimistisch über die Herausforderung, Geflüchtete im deutschen Bildungssystem zu integrieren und setzt sich für mehr Digitalisierung in Schulen ein. Laut Similarweb hatte der Blog im Juli 2023 rund 40.000 Besucher:innen zu verzeichnen.
Die Perspektive in 30 Sekunden
Die Genderredakteurin Nicole Opitz hält das, was von dem Reformvorhaben der Kindergrundsicherung übriggeblieben ist, für enttäuschend. „Der neue politische ‚Kompromiss‘ ist wenig fortschrittlich und nützt vor allem der Ampel und nicht den betroffenen Kindern“, kommentiert sie in der TAGESZEITUNG (TAZ).
Zwar sei es Bundesfamilienministerin Paus und Bundesfinanzminister Lindner gelungen, ihren Streit beizulegen – und in der Öffentlichkeit „konstruktive Gespräche“ zu beteuern. Doch wenn bei den Eltern benachteiligter Kinder nicht das nötige Geld ankomme, um neue Kleidung und Schulsachen zu kaufen, dann nütze die Einigkeit der Ampelkoalition den Familien wenig. „Was für ein Hohn für jedes vierte Kind in Deutschland“, mahnt Opitz. Denn eine deutliche Leistungserhöhung bleibe mit der beschlossenen Kindergrundsicherung nun aus.
Das hält Opitz auch rechtlich für problematisch: Immerhin habe Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, in der das Recht auf Teilhabe von Kindern festgeschrieben stehe. Aus ihrer Sicht steht die Kindergrundsicherung damit auf wackeligen Füßen: „[W]ie gut ist ein Fundament, wenn am Ende des Monats Millionen von Kindern trotzdem das Geld fehlt für Schulessen und neue Schuhe?“
Anmerkungen der Redaktion
Nicole Opitz ist Journalistin und Genderredakteurin bei der TAZ. Sie schreibt über Feminismus, Gesundheit und soziale Ungleichheit, neben der TAZ unter anderem auch für ZEIT ONLINE. Für die TAZ schreibt Opitz seit 2019.
Die TAGESZEITUNG (TAZ) ist eine überregionale deutsche Tageszeitung. Sie wurde 1978 als alternative, selbstverwaltete Zeitung gegründet – unter anderem vom Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele. Die Zeitung hat sich besonders in ihrer Anfangszeit an Linke, Studierende, Grüne und die Hausbesetzer-Bewegung gerichtet. Erklärtes Ziel der TAZ ist es seither, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Sie gehört heute zu den zehn größten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland, mit einer verkauften Auflage von rund 42.000 Exemplaren (2/2023). Nach eigenen Angaben verzeichnet die Webseite TAZ.DE bis zu 14 Millionen Zugriffe monatlich (1/2023). Das Goethe-Institut verortet die TAZ als „grün-linkes“ Blatt und betont besonders die oft sehr kritische Berichterstattung der Zeitung. EUROTOPICS sieht die TAZ als linkes Medium und stellt die gestaffelte Preisgestaltung und die Entscheidung gegen Online-Bezahlschranken als Besonderheiten der Zeitung heraus. Die TAZ wird genossenschaftlich herausgegeben. Die Chefredaktion teilen sich Barbara Junge, Ulrike Winkelmann und Katrin Gottschalk.
„Die neue Kindergrundsicherung löst das Armutsproblem nicht“
Makronom, 29.08.2023 - Christoph Butterwegge
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Die Einigung bei der Kindergrundsicherung ist zu stark von ökonomischen Interessen geprägt, bemängelt der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Aus diesem Grund werde sie der Kinderarmut in Deutschland auch nicht viel entgegensetzen können: „Nicht das Wohl der Kinder und ihrer Familien stand im Fokus der (Medien-)Diskussion, sondern der mögliche Gewinn für die Wirtschaft“, bemängelt der Politikwissenschaftler im Online-Magazin MAKRONOM.
In der Verantwortung dafür sieht Butterwegge vor allem die FDP mit ihrer Argumentation, dass es zunächst eine prosperierende Wirtschaft brauche, um eine Kindergrundsicherung überhaupt einzuführen: Es könne eben nur Geld verteilt werden, wenn es zuvor erwirtschaftet worden sei. Diesen Blickwinkel hält Butterwegge für falsch – denn er rücke das Wohl der Kinder und ihrer Familien in den Hintergrund und räume wirtschaftlichen Aspekten eine Priorität ein.
Zudem sei die FDP von der „antiquierten und bornierten“ Überzeugung geprägt, Armut sei nur existent, wenn berechtigte Familien die ihnen zustehenden Transferleistungen nicht in Anspruch nehmen. Doch es sei eine Mär, dass die Armutsgefährdung eines Kindes ende, sobald seine Eltern staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. „Um allen Kindern in Deutschland ein gutes und gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, ist mehr nötig als eine Bündelung familienpolitischer Leistungen“, mahnt Butterwegge.
Anmerkungen der Redaktion
Christoph Butterwegge ist Politikwissenschaftler und Armutsforscher. Er ist Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien und lehrte bis 2016 als Professor für Politikwissenschaften an der Universität Köln. Butterwegge war bis 2005 Mitglied der SPD, 2017 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten bei der Bundesversammlung der Linken. Seit 2013 schreibt er Gastbeiträge im FOCUS, in der TAZ, der FRANKFURTER RUNDSCHAU und in der JUNGEN WELT. Butterwegge wurde einer breiteren Öffentlichkeit besonders wegen seiner scharfen Kritik an der Sozialpolitik der Regierung unter Gerhard Schröder bekannt. Vor allem bemängelte er damals die sogenannten „Hartz-Gesetze“, die seiner Meinung nach besonders die Schwächsten der Gesellschaft trafen.
MAKRONOM ist ein 2016 gegründetes Online-Magazin für Wirtschaftspolitik, das laut eigener Aussage „aktuelle Ereignisse und Debatten konsequent aus einer makroökonomischen Perspektive“ betrachten will. Das Magazin versteht sich dabei als Diskussionsplattform für verschiedene Meinungen zu gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Debatten, ohne einer bestimmten „Glaubensrichtung“ zu folgen. Entsprechend veröffentlichen Gastautor:innen aus unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Lagern ihre Texte auf MAKRONOM. Inhaber und verantwortlicher Redakteur ist Philipp Stachelsky. Dieser machte unter anderem mit dem Dokumentarfilm „Germanomics“ auf sich aufmerksam, bei dem er mithilfe von 19 Wissenschaftler:innen den Terminus der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland messbar zu machen versucht. MAKRONOM finanziert sich durch Premium-Abonnements, mit denen Nutzer:innen weitere Artikel lesen können.
„Kindergrundsicherung: So sollen Alleinerziehende und Teenager profitieren“
Westdeutscher Rundfunk (WDR), 31.08.2023 - Jörn Seidel
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„Mit der Kindergrundsicherung soll ab 2025 vieles anders werden“, konstatiert der Journalist Jörn Seidel. Im WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) erläutert er, wer in NRW von der Reform profitieren wird.
Bislang könne eine Familie mit geringem Einkommen auf Kindergeld, einen Kinderzuschlag sowie das Bürgergeld für Kinder zurückgreifen. Außerdem seien Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sowie Sozialhilfe abrufbar. Diese unterschiedlichen Töpfe sollen ab 2025 in der Kindergrundsicherung gebündelt werden: Aufgeteilt in einen fixen Grundbetrag – entsprechend dem heutigen Kindergeld – sowie einen flexiblen, einkommensabhängigen Zusatzbetrag. Der Zusatzbeitrag soll nach den Eckpunkten der Ampelregierung so bemessen werden, dass er das pauschale altersgestaffelte Existenzminimum des Kindes abdeckt.
Laut Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) werde das die finanzielle Situation vieler Familien verbessern. „Teenager beispielsweise, die bisher Kinderzuschlag bekommen, werden mit dem Start der Kindergrundsicherung monatlich noch einmal 60 Euro mehr haben“, zitiert Seidel die Bundesfamilienministerin. Zudem versichere Paus Alleinerziehenden, die mindestens 600 Euro verdienen, dass Unterhaltszahlungen vom anderen Elternteil künftig nur zu 45 Prozent in die Berechnungen des Kinderzusatzbetrages einfließen werden. Laut WDR prognostizierte Paus für armutsgefährdete Kinder ab 2025 Leistungen von 530 Euro für die Kleinsten und bis zu 636 Euro für die Ältesten.
„Dass die Pläne so umgesetzt werden, steht aber noch nicht fest“, räumt der Journalist ein. Zunächst müsse der Gesetzentwurf nämlich noch im Parlament beraten werden.
Anmerkungen der Redaktion
Jörn Seidel ist ein freier Journalist aus Köln. Er arbeitet hauptsächlich für den WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR) als Online-Reporter und Produzent für „WDR Aktuell“, das Nachrichtenangebot des WDR. Der studierte Kultur-, Politik- und Medienwissenschaftler hat unter anderem auch für die ZEIT gearbeitet. Zudem ist er Mitherausgeber der Online-Feuilletonseite LEIPZIG ALMANACH: einer Website, auf der Artikel zum Leipziger Kulturangebot veröffentlicht werden.
Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2022“ erreichen alle Radiosender des WDR zusammen rund 8 Millionen Zuhörer:innen jeden Tag. Der Webauftritt des WDR hatte im Juli 2023 laut Similarweb rund 15,3 Millionen Besuche zu verzeichnen.
„Kindergeld im EU-Vergleich: Wie viel Geld gibt es in welchem Land?“
Euronews, 19.04.2023 - Alexandra Leistner
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Innerhalb der EU variieren die finanziellen Hilfen für Familien erheblich. Die Journalistin Alexandra Leistner zieht auf dem Informationsportal des paneuropäischen Fernsehsenders EURONEWS den Vergleich und fragt: „Wie viel Geld gibt es in welchem Land?“
In Deutschland bekommen Eltern derzeit unabhängig vom Einkommen 250 Euro Kindergeld pro Kind. Dieser Betrag soll auch weiterhin als fixer Grundbetrag in die Kindergrundsicherung mit einfließen.
In Österreich erhalten Familien, die Anspruch auf Familienbeihilfe haben, je nach Alter des Kindes zwischen 114 und 165,10 Euro pro Kind, mit Zuschlägen für jedes weitere. Zudem werde ein pauschales Kinderbetreuungsgeld gezahlt.
In Frankreich sind Familienleistungen an das Einkommen geknüpft und werden erst ab dem zweiten Kind gezahlt. Zusätzlich gibt es bis zu bestimmten Einkommen eine einmalige Geburts- oder Adoptionsprämie von rund 1.000 Euro sowie für alle Familien ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld.
Italien berechnet das Kindergeld pro Haushalt anhand von Einkommen, Vermögen und Kinderanzahl. „Die Unterstützung beim ersten Kind liegt zwischen 50 und 175 Euro, beim zweiten zwischen 100 und 350 Euro und bis zu 970 Euro bei Familien mit 4 oder mehr Kindern“, so Leistner – und zwar ab dem 7. Schwangerschaftsmonat.
Spanien gewährt ausschließlich Familien mit sehr geringen Einkommen Leistungen von 50 bis 100 Euro monatlich, abhängig vom Alter der Kinder. Laut des Beitrags wurde dieser Kindergeldzusatz erst im Januar 2022 eingeführt.
In Großbritannien erhalten alle Familien, die einen entsprechenden Antrag stellen, umgerechnet etwa 27 Euro monatlich für das erste Kind und rund 18 Euro für jedes weitere. Für Familien mit hohen Einkommen fällt eine Abgabe an.
Auch Belgien biete eine monatliche Unterstützung für alle Kinder. Die Beträge variieren je nach Region und Geburtsdatum des Kindes und betragen Leistners Recherchen zufolge zwischen 100 und 170 Euro für das erste Kind.
Schweden gewährt allen Eltern automatisch eine staatliche Hilfe von umgerechnet rund 110 Euro pro Kind bis zum 16. Lebensjahr. Für kinderreiche Familien gebe es zusätzliche Hilfen.
In Portugal richtet sich die Unterstützung nach dem Einkommen und Alter und Anzahl der Kinder. Für einkommensschwache Familien betrage das Kindergeld zwischen 10 und 120 Euro monatlich.
Polen bietet Familien finanzielle Hilfen mit monatlichen Beträgen von umgerechnet rund 20 bis 30 Euro, abhängig vom Alter des Kindes. Je nach Bedürftigkeit könne zudem ein einmaliges Entbindungsgeld von rund 200 Euro beantragt werden.
Ungarn gewährt Familienbeihilfe bis zu einem Alter von 16 Jahren. Umgerechnet beträgt diese laut Leistner zwischen 33 und 43 Euro pro Monat.
In Griechenland beträgt das Kindergeld monatlich zwischen 28 und 70 Euro für das erste und zweite Kind. Für das dritte Kind werden zwischen 56 und 140 Euro gezahlt. Zudem gebe es eine mögliche Einmalzahlung von 2.000 Euro zur Geburt.
Anmerkungen der Redaktion
Alexandra Leistner arbeitet als Journalistin für den internationalen Nachrichtensender EURONEWS. Hier schreibt sie vor allem über Internationale Politik, Frauenrechte, Gewalt in der Geburtshilfe und die Zukunft der Gesellschaft. Sie hat Sprach- und Kommunikationswissenschaft an der RWTH Aachen studiert sowie im Anschluss Medienmanagement an der Bauhaus-Universität in Weimar.
EURONEWS ist ein 1993 gegründeter paneuropäischer Fernsehsender aus Lyon, der hauptsächlich Nachrichten rund um Europa und die EU ausstrahlt. Die Website von EURONEWS wird in zwölf Sprachen übersetzt, daneben existieren neun TV-Ausgaben. Durch eine Kooperation des Senders mit der EU-Kommission werden explizit EU-relevante Beiträge von Ereignissen in den Mitgliedstaaten und EU-Beitrittskandidaten ausgestrahlt. Die EU subventioniert EURONEWS deshalb mit 15 Millionen Euro jährlich. Der Sender gilt in seiner Berichterstattung als politisch neutral, während er in den Meinungsressorts zu linksliberalen Standpunkten tendiert.