Innere Sicherheit: NRW im Kampf gegen die sogenannte Clankriminalität

26.08.2021
Foto von Abzeichen Polizei auf einer Jacke

Henning Schlottmann / Wikipedia Commons / CC BY-SA 4.0

Kurzfassung

Geldwäsche, Drogenhandel, Überfalle – täglich hinterlassen organisierte Kriminelle in NRW ihre Spuren. Nicht selten entspringen die Delikte den Strukturen krimineller Großfamilien. Das erkannte auch Innenminister Herbert Reul (CDU): Er erklärte die sogenannte „Clankriminalität” zur Chefsache – und spricht von einer „Null-Toleranz-Strategie” gegen kriminelle familiäre Netzwerke.

Die Zahlen sprechen derweil ihre eigene Sprache: 111 türkisch-arabische Familienclans, 3.779 Tatverdächtige und 6.104 Straftaten – diese Bilanz zieht das letzte Lagebild des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts für das Jahr 2019. Im Bundesvergleich wird schnell deutlich: In der organisierten Kriminalität führt NRW die Statistik an.

Mit seiner „Strategie der 1.000 Nadelstiche” versucht Reul, dieser Entwicklung zu trotzen – und setzt verstärkt auf Razzien und Kontrollen: „Wir versuchen systematisch zu stören, bei kleinen Rechtsbrüchen zu zeigen: Der Staat ist da, hier kann niemand machen, was er will”, heißt es etwa auf der Homepage des nordrhein-westfälischen Innenministeriums.

Schlag gegen die erste Liga der Clankriminalität

Für bundesweites Aufsehen sorgte Anfang Juni ein Großeinsatz in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens: Rund 790.000 Euro an Vermögenswerten sowie Sachwerte von über 600.000 Euro stellte die Polizei bei der Durchsuchung diverser Wohnobjekte sicher. Auch die Leverkusener Villa eines mutmaßlichen Clan-Chefs wurde beschlagnahmt. Reul lobte diesen „Schlag gegen die erste Liga der Clankriminalität“. Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist stolz: „Wir haben in unserem weltoffenen, liberalen Nordrhein-Westfalen bei Kriminalität und Extremismus eine radikale Null-Toleranz-Strategie – die braucht es in ganz Deutschland“, sagte er Anfang des Jahres in einem Interview mit der BILD am Sonntag.

Trauriger Spitzenreiter

Doch trotz der Bemühungen von Reul bleibt NRW trauriger Spitzenreiter: In keinem Bundesland gibt es nach wie vor so viel organisierte Kriminalität wie in Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig klagt die Justiz seit Jahren über Personalmangel. Der Bund der Richter und Staatsanwälte in Nordrhein-Westfalen warnt vor schlechten Arbeitsbedingungen und „miserabler technischer Ausstattung“. Beamte stünden unter enormem Druck – das führe nicht nur zu einer chronischen Überlastung, sondern begünstige Fehler bei der Ermittlung von Straftaten und organisierter Kriminalität.

Ist die Strategie zur Bekämpfung der Clankriminalität als Erfolg zu werten – oder braucht es einen Kurswechsel?

Acht Perspektiven

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„Der große Coup: Jetzt wird den Clans Angst und Bange - bleibt dennoch alles beim Alten?“

Focus, 14.06.2021 - Dr. phil. Ralph Ghadban

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Clan-Experte Ralph Ghadban zeigt sich vom Durchgreifen des nordrhein-westfälischen Innenministers beeindruckt. Die „spektakuläre Razzia“, mit der in Nordrhein-Westfalen Anfang Juni auch Mitglieder des Al-Zein-Clans gefasst wurden, beweist endlich politischen Willen, lobt er im Nachrichtenmagazin FOCUS.

Für Ghadban demonstriert Nordrhein-Westfalen eine lernwillige Politik, die imstande ist, kriminellen Strukturen zu trotzen: „Sie hat Erfahrungen gesammelt, ihre Verfolgungsmethoden entsprechend verfeinert und weiß, dass sie diese Art von Kriminalität besiegen kann.“ Den Clans werde durch solche Aktionen „Angst und Bange“. Denn nur mit viel Geduld und Hartnäckigkeit sei es überhaupt möglich, „die Mauer des Schweigens zu brechen und in die inneren Strukturen einzudringen“. Dabei stelle das Schweigen das wichtigste Abwehrmittel der Clans gegen die Staatsgewalt dar. Der Zugriff in Nordrhein-Westfalen beweise wahre Entschlossenheit – und demonstriere, dass der gesetzliche Rahmen voll ausgeschöpft wurde.

Innenminister Reul ist ein „großer Coup“ gelungen, findet Ghadban. Er ist zuversichtlich, dass diese „Politik der Nadelstiche“ den Drahtziehern das Handwerk legen kann. „Ihre kriminellen Machenschaften werden sich langfristig nicht mehr lohnen“, prophezeit der Clan-Experte.

Anmerkungen der Redaktion


Dr. phil. Ralph Ghadban ist ein deutscher Islamwissenschaftler, Politologe und Publizist. Er wurde im Libanon geboren, studierte in Beirut Philosophie und kam 1972 nach (West-)Berlin. Dort studierte er Islamwissenschaften und promovierte. 1976 war er Mitbegründer der Libanonhilfe für die Unterstützung der Bürgerkriegsflüchtlinge im Libanon und Berlin. Zusätzlich war er als Sozialarbeiter für arabischstämmige Berliner:innen tätig. Seit 1992 arbeitet er in der Migrationsforschung mit Schwerpunkt Islam in Europa.

Der FOCUS wurde 1993 vom Hubert Burda Verlag als Konkurrenz zum SPIEGEL gegründet. Das Magazin erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von rund 248.000 Exemplaren (2/2021) und gehört damit zusammen mit dem SPIEGEL und dem STERN zu den reichweitenstärksten deutschen Wochenmagazinen. Der FOCUS gilt dabei in seiner Ausrichtung als konservativer als die beiden Konkurrenzmagazine. Das GOETHE-INSTITUT befindet, das Blatt vertrete eine wirtschaftsliberale Haltung und wende sich „mit vielen grafischen Darstellungen und farbintensiven Bildern insbesondere an Leser:innen mit weniger Zeit“. Wie viele andere Medien in Deutschland hat der FOCUS seit Jahren stark sinkende Verkaufszahlen zu verzeichnen: Anfang 2000 lag die Auflage noch bei knapp 811.000 verkauften Exemplaren.

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„So geht der Kampf gegen Clans!“

Bild, 09.06.2021 - Frank Schneider

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Endlich geht es den „Clan-Millionären“ ans Portemonnaie, freut sich Frank Schneider. Das sei dem NRW-Innenminister zu verdanken: „Seine Behörden treffen kriminelle Clans da, wo es weh tut: beim Geld“, lobt der NRW-Chefreporter in der BILD-Zeitung.

Stück für Stück erkämpfe Reul sich vermeintlich verlorene Stadtteile zurück ­– und entziehe dem Netzwerk dadurch immense Sach- und Vermögenswerte. Schneider hält das für längst überfällig: Viel früher schon hätte der Staat kriminellen Familienclans den Geldhahn zudrehen müssen, moniert er. In Deutschland gebe es Millionen ehrliche Bürgerinnen und Bürger, die ihr Leben lang hart arbeiten – und um ihre „wohlverdiente Rente“ zittern. „Währenddessen kassierten steinreiche Kriminelle Hunderttausende Euro von unserem Steuergeld“, kritisiert der Autor.

Laut Schneider setzt Reul dieser „Tatenlosigkeit der Politik“ endlich ein Ende: „Clan-Kriminalität wird nicht mit besorgten Sonntagsreden bekämpft, sondern mit Elite-Polizisten und Räumpanzern im Morgengrauen“, meint er. Damit werde Nordrhein-Westfalen zu einem Vorbild für ganz Deutschland: „Genauso geht Rechtsstaat“, lobt Schneider.

Anmerkungen der Redaktion

Frank Schneider ist Chefreporter für Nordrhein-Westfalen bei der überregionalen Boulevardzeitung BILD. Im Oktober 2019 setzte er sich für die Kampagne „Respekt?! Ja Bitte!“ ein, die für mehr Respekt gegenüber Einsatzkräften wirbt.

Die BILD ist eine Tages- und Boulevardzeitung des Axel-Springer-Verlags und die auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland. Die Auflage lag im zweiten Quartal 2021 bei 1.203.000 verkauften Exemplaren, was fast dreieinhalb Millionen weniger sind als noch 1998. Die BILD bezeichnet sich selbst als überparteilich, andere Medien, z.B. das Internetportal EUROTOPICS bezeichnen das Blatt dagegen als politisch konservativ. Der GUARDIAN urteilte im Juli 2020, BILD sei von folgenden Grundsätzen durchzogen: pro-amerikanisch, pro-Nato, pro-israelisch, pro-Kapitalismus, für Sparmaßnahmen, anti-russisch und anti-chinesisch. Die BILD ist die Zeitung, die am häufigsten vom deutschen Presserat (die Freiwillige Selbstkontrolle der Print- und Onlinemedien in Deutschland) gerügt wird. (Wird in der Berichterstattung gegen die Bestimmungen des Pressekodex verstoßen, kann der deutsche Presserat eine Rüge gegen das betreffende Medium aussprechen). Seit 1986 wurden 202 Rügen ausgesprochen. Im Vergleich: Auf Platz 2 folgt die BZ mit 21 Rügen.

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„Schwerpunkteinsatz gegen Clankriminalität – nur politischer Showeffekt oder effektives Mittel?“

Nordstadtblogger, 16.08.2020 - Alexander Völkel

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Auf dem Dortmunder Blog NORDSTADTBLOGGER kommentiert Redaktionsleiter Alexander Völkel die Strategie der Dortmunder Behörden stellvertretend für das Vorgehen der Landesregierung gegen Clankriminalität. Sie sei vielversprechend, findet der Redaktionsleiter.

Das Erfolgsmodell sei der gebündelte Einsatz verschiedener Behörden. Das bedeutet, dass die Polizei gemeinsam mit dem Hauptzollamt, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, dem Finanzamt, der Bundespolizei und mehreren Ämtern der Stadt gegen Fälle von Clankriminalität vorgeht. Eine einzelne Behörde könne im Alleingang wenig beeinflussen, in Zusammenarbeit sei viel mehr möglich. „Der Zoll kann zwar unversteuerten Tabak beschlagnahmen, aber keine Shisha-Bar schließen“, erklärt der Redakteur. Decken die einzelnen Behörden mehrere Vorfälle in einer Lokalität auf, leiten sie weiter und arbeiten zusammen, könne ein krimineller Betrieb durch die Zuständigen schnell geschlossen werden.

Genau das passiere aktuell in Nordrhein-Westfalen und diese Zusammenarbeit zwischen Behörden sei ein großer Beitrag zur effektiven Bekämpfung von Clankriminalität. In anderen Worten: NRW nutze die richtige Strategie. Darüber hinaus sei lobenswert, dass die Schwerpunkteinsätze von der Presse begleitet werden – für Alexander Völkel ist das ein „Baustein zu mehr Transparenz“.

Anmerkungen der Redaktion

Alexander Völkel ist Gründer und Redaktionsleiter des Dortmunder Blogs NORDSTADTBLOGGER. Der Journalist studierte Politologie, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt VWL an der Universität Siegen. 2001 bis 2003 absolvierte er ein Volontariat bei der Mediengruppe WAZ. Vor der Gründung seines Blogs im Jahr 2013 arbeitete er als Redaktionsleiter bei der WESTFÄLISCHEN RUNDSCHAU.

NORDSTADTBLOGGER ist ein 2013 von Alexander Völkel, ehemaliger Redaktionsleiter der WESTFÄLISCHEN RUNDSCHAU, gegründeter Blog. Er betreibt ihn auf ehrenamtlicher Basis. Auf dem Blog schreiben Journalist:innen über Dortmunds Nordstadt und über kommunale oder regionale Themen mit Bedeutung für Dortmund. 2015 wurde dem Projekt der Ehrenamtspreis „Engel der Nordstadt“ verliehen.

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„Kommentar: Die Inszenierung der Clan-Bekämpfung“

WDR, 18.08.2020 - Tobias Zacher

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Das große Medienecho auf die jährlichen Razzien in Nordrhein-Westfalen sei ein deutliches Signal, erklärt Tobias Zacher in einem Kommentar im WDR: Der Staat bestimme die Regeln. Zacher hält dieses Signal allerdings für falsch. Denn diese „Inszenierungstigmatisiere Menschen, die ohnehin schon ausgegrenzt seien, trage damit weiter zur Ausgrenzung bei und führe am Ende so zu mehr Kriminalität.

Nach Angaben der Polizei haben viele kriminelle Clanfamilien Wurzeln in arabischen Ländern. Diese Familien seien oft in den 80er Jahren nach Deutschland gekommen – zu einer Zeit, in der Integration von keiner Seite stark gefördert wurde. Die Teilhabe dieser Familien im gesellschaftlichen Leben sei deshalb kaum vorhanden gewesen. Und genau deshalb findet Zacher, tue der Staat das Falsche gegen Clankriminalität. „Ein Staat, der Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft nicht zulässt, darf nicht überrascht tun, wenn sich bei Minderheiten Parallelgesellschaften bilden“, kritisiert der WDR-Redakteur. Menschen, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen würden, bauen sich eigene Strukturen: Strukturen und Organisationen, in denen sie sich anerkannt fühlen, in denen sie teilhaben können, erläutert Zacher. Ein Clan sei im Grunde nichts anderes.

Neben Konsequenzen für kriminelle Handlungen brauche es deshalb vor allem Integrationsarbeit: zu zeigen, dass es einen anderen Weg als Kriminalität gibt, sei wirksamer als spektakuläre Nachrichtenbilder. Nur mit besserer Integrationsarbeit ließe sich Clankriminalität wirklich langfristig bekämpfen, meint Zacher.

Anmerkungen der Redaktion

Tobias Zacher ist ein deutscher Journalist. Als Redakteur arbeitet er für den WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK. 2018 wurde er für den Deutschen Radiopreis in der Kategorie „Beste Reportage“ nominiert.

Der WDR ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC.

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„Wer sucht der findet… Fehlende OK-Ermittlungen“

Kripoz, 20.07.2020 - Prof. Dr. Britta Bannenberg

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Auch polizeiliche Versäumnisse sind dafür verantwortlich, dass Clankriminalität immer stärker um sich greift, macht die Kriminologin Britta Bannenberg deutlich. In der Zeitschrift KRIPOZ legt sie in einem Essay dar, welche Lehren es für die Landespolizei zu ziehen gilt, um organisierte Kriminalität nachhaltig zu bekämpfen – denn medienwirksame Razzien wie in Nordrhein-Westfalen seien bei weitem nicht genug.

Die „Politik der Nadelstiche“ könne nur dann eine nachhaltige Wirkung entfalten, wenn Einsatzkräfte schon in ihrer Ausbildung darauf vorbereitet werden. Ihnen gegenüber werde ein massiver Autoritätsverlust deutlich, der sich in Beleidigungen, Abwertungen und körperlicher Gewalt äußere. „Die gewalttätigen Angriffe auf Polizeibeamte haben längst ein Ausmaß erreicht, das mit einer vermeintlichen gestiegenen Anzeigequote nicht in Einklang zu bringen ist“, betont Bannenberg. Es erfordere nicht nur Mut, sondern auch qualifizierte Trainings, um dem brutalen Machtgehabe krimineller Clans entgegenzutreten. „Diese Risiken tragen vor allem Polizeibeamte“, gibt die Autorin zu bedenken. Die Erfahrung habe gezeigt, dass auch Routinekontrollen eskalieren können: „Polizeibeamte stehen so möglicherweise unerwartet 50 bis 100 Personen gegenüber, die aggressiv versuchen, die Kontrollmaßnahme zu verhindern.“

Um der hohen Gewaltbereitschaft etwas entgegenzusetzen, brauche die Polizei Fortbildungen und genügend Personal. Laut Bannenberg sind Schutz- und Bereitschaftskräfte nicht ausreichend für solche Einsätze qualifiziert. „Wer sich in der Szene bewegt, muss sich auf eine gewaltverherrlichende, menschenverachtende und sexistische Sprache und massive Drohungen einstellen“, warnt sie. Die Polizei könne das aufgrund der aktuellen Personalsituation nicht leisten.

Anmerkungen der Redaktion

Prof. Dr. Britta Bannenberg ist Professorin für Kriminologie an der Justus-Liebig-Universität Giessen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei Amok, Terror und Tötungsdelikten, Gewalt, organisierter Kriminalität, Hate Crime, Kriminalprävention, Opferforschung, Korruption und Wirtschaftskriminalität.

KRIPOZ.DE ist ein kriminalpolitisches Online-Portal, das Gesetzesentwürfe und Stellungnahmen bereitstellt. In einem zweimonatigen Turnus erscheint die dazugehörige kriminalpolitische Zeitung KRIPOZ. Kriminalpolitik ist ein Teilgebiet der Rechtspolitik. Es beschäftigt sich besonders mit Strafgesetzen, Strafprozessrecht, dem Strafvollzug und der Kriminalprävention. Durch eine Kommentarfunktion sollen sich Lesende aktiv am Diskurs beteiligen können. Das soll nach eigenen Angaben „die wissenschaftliche Debatte rund um kriminalpolitische Themen dieser Zeit tagesaktuell halten und den Austausch der Argumente und Positionen beschleunigen.“

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„Willkommenskultur für kriminelle Clans: Der deutsche Staat bekämpft ein Problem, das er selbst erschaffen hat“

Neue Zürcher Zeitung, 09.06.2021 - Jonas Hermann

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Für den Redakteur Jonas Hermann stellen die Razzien in Nordrhein-Westfalen nichts als eine Symptombehandlung dar. Ohne eine strengere Migrationspolitik werde Deutschland den kriminellen Clans ohnehin nicht Herr werden, urteilt er in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ).

Über die Ursache der Clankriminalität wird aus Sicht von Hermann viel zu selten berichtet: Fast nie werde erwähnt, dass diese in der Asylzuwanderung wurzelt. Auch der in Leverkusen festgenommene Clan-Chef und Villenbesitzer Mahmoud al-Zein sei in den achtziger Jahren als Asylbewerber aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. Zwar habe der Staat seinen Asylantrag schon in den achtziger Jahren abgelehnt – doch als „angeblich Staatenloser“ blieb er laut Hermann mehr als drei Jahrzehnte. Anfang diesen Jahres sei er auf Druck der Behörden dann ausgereist, doch nicht ohne Erbe: „Die al-Zeins gelten heute als einer der mächtigsten kriminellen Clans in Deutschland“, kritisiert der NZZ-Redakteur.

Mahmoud al-Zein ist kein Einzelphänomen, betont Hermann. „Die Geschichten anderer Clangrößen lesen sich ähnlich – mit einem Unterschied: Sie sind nach wie vor im Land“, warnt der NZZ-Redakteur. Allmählich seien es die Söhne, die die Geschäfte übernehmen – allerdings mit deutscher Staatsangehörigkeit, betont der Autor. „Wer die Clans stoppen will, also vor allem die Clans von morgen, muss ans Einwanderungsrecht heran“, appelliert er daher.

Anmerkungen der Redaktion

Jonas Hermann ist seit 2017 Redakteur im Berliner Büro der Schweizer Tageszeitung NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. Nach einem Studium der Philosophie und Ethnologie an den Universitäten Heidelberg und Lund arbeitete er als freier Mitarbeiter für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG und die WELT. Von 2015 bis 2017 absolvierte er ein Volontariat im Medienhaus VRM.

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) wurde 1780 gegründet und gilt als Leitmedium im deutschsprachigen Raum sowie als wichtigste überregionale Tageszeitung der Schweiz. Die NZZ wird von EUROTOPICS als liberal-konservativ bezeichnet und hat nach eigener Angabe eine „freisinnig-demokratische“ Ausrichtung. Der NDR schreibt, die NZZ sei gekennzeichnet von einer „urliberalen Haltung, Weltoffenheit und einem nüchternen Ton“; der Medienwissenschaftler Uwe Krüger sieht sie als konservativ, liberal und bürgerlich. Seit Eric Gujer 2015 Chefredakteur wurde, spricht etwa der DEUTSCHLANDFUNK von einem „Rechtsrutsch“ in der Berichterstattung. Der NDR befindet, Gujer habe die „NZZ um typisch rechtskonservative Themen und Meinungen erweitert“. Hierbei wird auch auf die gesonderte Rolle der Berlin-Redaktion der Zeitung verwiesen, etwa von der ZEIT, die diese als treibende Kraft hinter einer Orientierung nach rechts sieht.

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„Was in der Bericht­erstattung über krimi­nelle Clans schief­läuft“

BLIQ, 12.11.2020 - Julia Ley

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Die Debatte um die sogenannte Clankriminalität polarisiert – so auch der Begriff selbst. Die Journalistin Julia Ley weist in einem Beitrag für das medienkritische Online-Journal BLIQ darauf hin, dass viele Menschen in Politik und Medien den Begriff Clankriminalität „zu unkritisch“ verwenden.

In den Augen von Ley werden in der Berichterstattung zu sogenannter Clankriminalität vor allem billige Klischees bedient. „Kein Wunder“, schreibt sie. „Denn Clan-Kriminalität bietet vieles, was sich gut klickt: Gewalt, Drogen, Prominenz, Emotionen.“ Laut BKA machen Verfahren zur Clankriminalität jedoch insgesamt nur etwa acht Prozent aller Verfahren zur Organisierten Kriminalität aus. Die durch Clankriminalität verursachten Schäden beliefen sich 2019 auf 1,6 Millionen Euro. „Bei einem Gesamtschaden von mehr als 800 Milionen Euro ist das geradezu lächerlich wenig“, so die Journalistin.

Ley weist zudem darauf hin, dass es an einer einheitlichen Definition der sogenannten „Clankriminalität“ nach wie vor fehlt. Vom Bundeskriminalamt gäbe es lediglich „Zuordungskriterien und Indikatoren“. Clankriminalität sei demnach „die Begehung von Straftaten durch Angehörige ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ und wird bestimmt durch „verwandtschaftliche Beziehungen“, eine „gemeinsame ethnische Herkunft und ein hohes Maß an Abschottung der Täter, wodurch die Tatbegehung gefördert oder die Aufklärung der Tat erschwert wird“.

Ley kritisiert, dass wegen dieser Definition einerseits die Statistiken aufgebläht werden, auf die viele Journalist:innen und Politiker:innen sich berufen. „Andererseits führt es dazu, dass Menschen allein aufgrund ihres Nachnamens verdächtigt werden.“ Medienwirksam inszenierte Razzien etwa in Shisha-Bars würden zudem zu einer Stigmatisierung fühlen und die Besitzer mit Verbrechern gleichsetzen. Dabei werde ein Bild erzeugt, „als gehörten der Handel mit Drogen und Prostituierten, Schutzgelderpressung und Raub mancherorts einfach zum Kulturgut“.

Sie fordert daher, sich die Strukturen hinter der Kriminalität und die individuellen Biographien anzuschauen. Denn viele Clanmitglieder seien als Jugendliche zwar auffällig gewesen, aber erst im Gefängnis zu echten Schwerverbrechern geworden. Auch bemängelt sie, dass beim Thema der sogenannten Clankriminalität vor allem Islamwissenschaftler:innen zu Wort kommen und zu wenige Soziolog:innen und Kriminolog:innen, die andere Erklärungsmuster für Organisierte Kriminalität sehen.

Anmerkungen der Redaktion

Julia Ley ist eine deutsche Journalistin und Mitbegründerin des Online-Journals BLIQ. Sie hat Politikwissenschaften, Philosophie und Geschichte in London und Oxford studiert und sich hier insbesondere mit dem Nahen Osten auseinandergesetzt. Anschließend hat sie eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule absolviert und seitdem als Freie Journalistin u.a. für den BAYERISCHEN RUNDFUNK (BR), die TAGESZEITUNG (TAZ), die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und die Wochenzeitung DIE ZEIT gearbeitet. 2019 hat sie zusammen mit Nabila Abdel Aziz und Eren Güvercin das medienkritische Online-Journal BLIQ gegründet, welches sich einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Berichterstattung über Minderheiten in der deutschen Medienlandschaft verschrieben hat.

BLIQ ist ein medienkritisches Online-Journal. Im September 2019 entstanden lag sein Fokus zunächst auf einer differenzierten Berichterstattung über Muslim:innen in der deutschen Medienlandschaft, die in der überregionalen Presse zu 60 bis 80 Prozent in negativen Kontexten dargestellt worden seien. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von den Journalistinnen Julia Ley, Nabila Abdel Aziz und Eren Güvercin in Kooperation mit CLAIM, der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Im Mai 2020 hat sich BLIQ jedoch thematisch geöffnet und begleitet nun die deutsche Berichterstattung nicht nur über Muslim:innen, sondern auch über andere Minderheiten wie Schwarze Menschen, Sinti:ze und Rom:nja, Jüdinnen und Juden, People of Colour (PoC) und andere, die in der Medienlandschaft u.U. einseitig oder verzerrt dargestellt werden. Das Online-Journal bedient sich dafür einer Vielzahl an Beiträgen und Autor:innen aus den Bereichen Journalismus, Publizistik und der Wissenschaft. Die Formate reichen von Analysen und Essays über Kommentaren und Faktenchecks hin zu Interviews, Reportagen und Porträts. In ihnen werden beispielsweise folgende Fragen adressiert: „In welchem Kontext wird über bestimmte Gruppen berichtet? Welche Assoziationen werden geweckt, welche Zusammenhänge hergestellt? Wo gelten weiße Sichtweisen als unvoreingenommen, wo sind sie unhinterfragter Standard? Und wann wird nur über manche Menschen gesprochen, aber nicht mit ihnen?” Neben der kritischen Auseinandersetzung mit der Darstellung genannter Gruppen, sollen sie aber auch auf Gelungenes hinweisen und Menschen zu Wort kommen lassen, die andernfalls zu selten Gehör finden. Von September 2018 bis Ende 2019 hatte BLIQ eine Förderung von dem Programm „Demokratie Leben” des Bundesfamilienministeriums erhalten. Seitdem wird es ehrenamtlich geführt und finanziert sich über Spenden. Im Mai 2020 ist BLIQ zu einem Projekt der Neuen Deutschen Medienmacher:innen geworden, die das Team organisatorisch und technisch unterstützen. Die Redaktion von BLIQ versucht jede Woche einen neuen Beitrag auf der Website online zu stellen – je nachdem, ob sie Autor:innen finden.

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„Arabische Clans in Deutschland: "Keine Parallelgesellschaft, eine unerwiderte Liebe!"“

Stern, 28.07.2021 - Lukas Hildebrand, Marcus Steiger

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Musiker und Schauspieler Mohamed Chahrour wurde vor 28 Jahren in den Berliner Chahrour-Clan hineingeboren. Im Gespräch mit den STERN-Redakteuren Lukas Hildebrand und Marcus Staiger gibt er Einblicke in sein Leben. 

Aufgewachsen sei er in einer „ganz normalen Kernfamilie“ – ganz ähnlich einer deutschen Familie, vermutet er. „Denke ich an meinen Clan, dann denke ich vor allem an die Liebe, die ich dort erfahren durfte“, beschreibt er. Es herrsche ein starker Zusammenhalt – seine Cousins und Cousinen seien auch seine besten Freunde. Die Gruppe helfe einander immer aus: Ob beim Keller ausräumen, beim Handwerken oder der Suche nach einem Arzt – es finde sich immer eine helfende Hand. „Ein Clan bedeutet auch Geborgenheit“, so Chahrour.

„Denke ich an meinen Clan, dann denke ich vor allem an die Liebe, die ich dort erfahren durfte“

Problematischer sei der „Fluch des Namens“. Weil viele Menschen „Chahrour“ mit Clankriminalität verbinden, erweise der Familienname sich häufig als Nachteil – etwa bei Wohnungsbesichtigungs-Terminen. Auch werde er häufig von der Polizei festgehalten, im Straßenverkehr überprüft oder auf Drogen kontrolliert. Chahrour beschreibt ein Erlebnis aus seiner Jugend, er war 14 Jahre alt: „[Ich] wurde mal wieder wie der VIP der Gruppe behandelt, bekam die Beine auseinandergetreten, wurde an die Wand geschubst.“ Keinem seiner Freunde sei es ähnlich ergangen.  

Als Antrieb dieser Problematik betrachtet Chahrour auch die Berichterstattung in den Medien, die tendenziös sei. Denn längst nicht jeder Clan-Zugehörige sei kriminell. Ihm selbst habe noch nie jemand „eine Tüte in die Hand gedrückt“ und gesagt: „Hier Cousin, nimm mal dein Anteil!“, sagt Chahrour. Er gehe als Musiker und Schauspieler arbeiten, um sein Geld zu verdienen. Wenn er in den Medien dennoch auf seine familiären Verhältnisse reduziert werde – etwa durch Worte wie „Clanspross“ −, dann ärgere ihn das. 

Für die Zukunft wünscht er sich, dass mehr über straftätige Personen als solcheberichtet wird – und weniger über die Namen der Clans. Denn wie in anderen Familien gebe es auch unter ihnen Menschen, die ein ganz normales Leben führen. Oft werde vergessen, dass Teile der arabischen Community große Fans von Deutschland sind – nicht zuletzt deshalb seien sie in das Land gekommen. Das gelte auch für seine eigenen Angehörigen, die aus dem Libanon kamen, „weil sie dieses Land schätzten“. Doch die Zuneigung werde immer dann getrübt, wenn sie die Zeitung aufschlagen. „Ihre Beziehung zu Deutschland ist bis heute eine unerwiderte Liebe“, gibt Chahrour zu bedenken.

Anmerkungen der Redaktion

Mohamed Chahrour ist ein deutsch-libanesischer Komponist, Musikproduzent und Schauspieler. Er kommt aus einer arabischen Clan-Familie und hat darüber, zusammen mit Journalist Marcus Staiger, ein Buch geschrieben. Parallel dazu produzieren sie den Podcast CLANLAND.

Marcus Staiger ist ein deutscher Journalist, Autor und ehemaliger Musiklabel-Betreiber. 1993 begann er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften und Philosophie, das er aber nach sieben Jahren ohne Abschluss abbrach. Zeitgleich ging er seine ersten journalistischen Schritte bei Hip Hop-Magazinen. Er schrieb für JUICE und STYLE und arbeitete als freier Mitarbeiter unter anderem für RADIO FRITZ. Er ist Mitglied der Organisation „Radikale Linke“ und engagiert sich auf antifaschistischen Demonstrationen.

Lukas Hildebrand ist redaktioneller Mitarbeiter beim Magazin STERN. Er studierte Germanistik und Geschichtswissenschaften in Berlin. Danach arbeitete er für das JUICE MAGAZIN, das HAMBURGER ABENDBLATT und die ZEIT. Seine thematischen Schwerpunkte liegen auf Geschichten von Menschen für die Ressorts Kultur, Geschichte und Politik.

Der STERN ist ein 1948 von Henri Nannen gegründetes Wochenmagazin. Die verkaufte Auflage lag im zweiten Quartal von 2021 bei etwa 360.000. Der STERN wird zu den Leitmedien gezählt, also solche, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. In ihrer politischen Grundausrichtung beschreibt das Goethe-Institut den STERN als „tendenziell eher links“. Das Magazin beleuchtet politische und gesellschaftliche Themen, bietet klassische Reportagen und porträtiert Prominente. Ein besonderer Fokus liegt – ähnlich dem US-amerikanischen TIMES Magazin – auf Fotografie.