Diskussionen um Polizeigewalt: Waren die Maßnahmen bei der Lützerath-Räumung angemessen?
Foto von: Lützi Lebt / Quelle: https://www.flickr.com/photos/luetzibleibt/52618591117 / Lizenz: CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)
Kurzfassung
Lützerath ist geräumt und abgerissen – doch die Diskussionen halten an. Während des tagelangen Einsatzes im Rheinischen Braunkohlerevier Mitte Januar flogen Steine und Feuerwerkskörper auf Einsatzkräfte, die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Nach SPIEGEL-Informationen wurden über 400 Strafanzeigen gegen Aktivist:innen gestellt. Doch auch die Polizei steht in der Kritik. Die Einsatzkräfte seien zu hart gegen die Protestierenden vorgegangen, heißt es aus dem Lager der Klimaschutzbewegung – der Vorwurf der Polizeigewalt steht im Raum. In einer Pressemitteilung des Bündnisses „Lützerath lebt“ beklagen die Mitglieder 145 Verletzte in zwölf Stunden. Zunächst hatte die Initiative auch über lebensgefährliche Verletzungen berichtet, diese konnten jedoch nicht von der Polizei bestätigt werden. Dennoch wird über die Bilanz des Einsatzes gestritten.
„Die Deeskalationsstrategie der Polizei hat nicht funktioniert“
Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) NRW, war bei der Räumung in Lützerath dabei. Er kritisiert in der TAZ, BUND-Mitglieder seien durch „völlig unverhältnismäßiges Vorgehen“ von Einsatzkräften verletzt worden. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) stellt er ein schlechtes Zeugnis aus: „Die Deeskalationsstrategie der Polizei hat nicht funktioniert.“ Aus dem Düsseldorfer Innenministerium heißt es dagegen, die Polizei habe „hochprofessionell“ gearbeitet. Im Interview mit 24RHEIN erklärt Reul, das erfordere mitunter auch Gewalt: „Polizisten müssen je nach Situation Zwangsmittel einsetzen, um andere und sich selbst zu schützen.“ Dennoch habe Videomaterial gezeigt, dass es möglicherweise Fälle von übermäßiger Polizeigewalt gegeben haben könnte. „Bislang sind uns fünf Fälle bekannt, bei denen ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Da wird jetzt genau ermittelt“, versichert der Innenminister.
Wie ist der Einsatz zu bewerten? Waren die Maßnahmen bei der Lützerath-Räumung angemessen?
Acht Perspektiven
„Friedliche Demonstranten hätten sich von Krawallmachern distanzieren müssen“
Rheinische Post (RP), 15.01.2023 - Christian Schwerdtfeger
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Schlagstöcke, Pfefferspray, Wasserwerfer: „Ja, bei den Auseinandersetzungen am Rande der Demonstration am Samstag bei Lützerath hat es eine Menge erschreckender Szenen gegeben“, räumt der Chefreporter Christian Schwerdtfeger in der RHEINISCHEN POST (RP) ein. Doch er ist überzeugt: Den Beamt:innen blieb keine andere Wahl.
Dutzende Male habe die Polizei die Protestierenden per Lautsprecherdurchsagen gewarnt. „Doch sämtliche Warnungen waren ins Leere gelaufen“, gibt Schwerdtfeger zu bedenken. Dass die Beamt:innen in der Konsequenz zu härteren Mitteln greifen, um eine „teils sehr aggressive Menge“ zurückzudrängen, hält Schwerdtfeger für legitim.
In den Vorwürfen der Protestierenden erkennt er ein wiederkehrendes Muster: „Die Aktivisten sind stets darum bemüht, sich als brave Unschuld vom Lande darzustellen und die Polizei zu diskreditieren.“ Doch es seien Menschen aus ihren eigenen Reihen, die Einsatzkräfte mit Flaschen, Steinen, Böllern, Silvesterraketen und sogar einem Molotowcocktail bewerfen. Schwerdtfeger bezeichnet das als „heuchlerisch“.
Anmerkungen der Redaktion
Christian Schwerdtfeger ist Journalist und Chefreporter der RHEINISCHEN POST (RP). Der studierte Geschichts- und Medienwissenschaftler hat bei der Zeitung ein Online-Volontariat absolviert und anschließend für die Lokalredaktionen Moers und Duisburg gearbeitet. Seit 2020 leitet er das Reporter:innenteam. Schwerdtfeger selbst berichtet hauptsächlich über Nordrhein-Westfalen: Schwerpunkte seiner Berichterstattung sind die Polizei sowie die Sicherheitspolitik NRWs.
Die RHEINISCHE POST (RP) ist eine regionale Tageszeitung, die zur „Rheinische Post Mediengruppe“ gehört. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf Nordrhein-Westfalen. Die Zeitung wurde 1946 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Düsseldorf. Chefredakteur ist Moritz Döbler. Laut einem Ranking von KRESS.DE war die RHEINISCHE POST die zweitmeist zitierte Regionalzeitung Deutschlands. Die verkaufte Auflage lag im dritten Quartal 2022 bei rund 237.000 Exemplaren. Das entspricht einem Minus von 40 Prozent seit 1998. Trotzdem dominiert die RHEINISCHE POST laut ÜBERMEDIEN den Markt Düsseldorfer Lokalzeitungen und hat andere Lokalangebote weitestgehend verdrängt. Für die Berichterstattung über einen Fall mehrfacher Kindstötung in Solingen hat die RHEINISCHE POST zusammen mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und der BILD eine Rüge des Presserats erhalten. Die RHEINISCHE POST hatte Chatnachrichten eines Kindes veröffentlicht. Die RP gilt als liberal-konservatives Blatt, das politisch der CDU nahesteht. Sie beschreibt sich selbst als „Zeitung für Politik und christliche Kultur“, die für „Demokratie, Freiheit und Menschenwürde“ eintritt.
„Gewaltherrschaft à la Lützerath“
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 17.01.2023 - Reinhard Müller
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Die Perspektive in 30 Sekunden
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ) lenkt der Jurist und Journalist Reinhard Müller den Fokus auf die Rolle der Polizei im Rechtsstaat. Aus seiner Sicht haben die Einsatzkräfte mit der konsequenten Räumung in erster Linie ihre Pflicht erfüllt – und die deutsche Demokratie verteidigt: „[D]ie Polizei steht in Lützerath für uns alle, unabhängig von jedweder Weltanschauung, um das demokratisch gesetzte Recht durchzusetzen.“
Wer das missachte, der stelle sich nicht zuletzt gegen einen Staat, der auch der Umwelt verpflichtet sei. „Dem geht es offenbar zuvörderst um Rechtsbruch und Gewalt“, konstatiert Müller. Umso mehr sieht er die Polizei in der Pflicht, die demokratisch verfasste Staatsgewalt auszuüben. Eine „Gewaltherrschaft à la Lützerath“ dürfe nicht toleriert werden: „Wer eine Willkürherrschaft will, der muss wissen, dass sich Gewalt bald ohne Weiteres gegen ihn selbst richten kann“, appelliert der Jurist.
Zwar müsse auch jedem Fall von unverhältnismäßigem Polizeihandeln nachgegangen werden. Doch gleichzeitig hält Müller es für wichtig, dass der Rechtsstaat nicht von den „frivolen Freischärlern von Lützerath“ auf den Kopf gestellt wird: „Auch der grundgesetzlich gebotene Kampf für die natürlichen Lebensgrundlagen gibt kein Faustrecht.“
Anmerkungen der Redaktion
Reinhard Müller ist Jurist und Journalist. Seit 1998 ist er Teil der Redaktion der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ) und dort verantwortlich für rechtspolitische Themen und Innenpolitik. Seit Juli 2012 ist Müller zudem verantwortlicher Redakteur für die Rubrik „Zeitgeschehen“. Zusätzlich veröffentlicht er seit 2017 das Digital-Format „FAZ Einspruch“, das Rechtsthemen behandelt. In verschiedenen Beiträgen wendet sich Müller gegen die Eheöffnung und ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Außerdem hält er die Einräumung der doppelten Staatsangehörigkeit für eine „Politik, der jedes Gefühl für Staat und Nation, für Sinn und Form völlig abgeht“.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) ist eine deutsche überregionale Tageszeitung. Sie ist 1949 gegründet worden und wird zu den deutschen Leitmedien gezählt. Dies sind Medien, die einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Meinung und auf andere Massenmedien ausüben. Laut Eigenangabe steht die FAZ „für den Erhalt und die Stärkung der demokratischen Ordnung und der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland“. Die Zeitung gilt als liberal-konservatives Blatt. THE EUROPEAN schreibt über die „drei Gesichter“ der FAZ: Sie habe einen eher konservativen, staatstragenden Politikteil, ein linksliberales Feuilleton und einen liberalen Wirtschaftsteil. Die verkaufte Auflage der Zeitung lag im dritten Quartal 2022 bei rund 192.000 Exemplaren. Laut Similarweb hatte der Webauftritt der FAZ – FAZ.NET – im Oktober 2022 rund 40 Millionen Besucher:innen zu verzeichnen.
„Mit einem Satz entlarven sich Klima-Krawallos als linksextreme Staatsfeinde“
Focus, 20.01.2023 - Christian Böhm
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Das „Polizei-Bashing“ einiger Aktivist:innen ist überzogen und offenbart „ein höchstbedenkliches Staatsverständnis“, findet der Redakteur Christian Böhm. Die „ständige Übertreibung“ aus den Reihen der Klimabewegung sei vor allem deshalb gefährlich, weil der Vorwurf „Polizeigewalt!“ die staatlichen Sicherheitsorgane als Ganzes diskreditiere, mahnt Böhm im Nachrichtenmagazin FOCUS.
Der Redakteur sieht in den Beschuldigungen vor allem einen Versuch, die Räumung möglichst öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Gleichzeitig warnt er: „Es ist hochgradig gefährlich, sich mit einem solchen Polizei-Bashing in Szene setzen zu wollen.“ Böhm befürchtet, dass extremistische Gruppen sich durch die Kritik an der Ordnungsmacht umso mehr in ihrer Staatsablehnung bestärkt fühlen. Damit sei auch der Umwelt keineswegs geholfen: „Wer das Klima schützen will, sollte auch die Demokratie und deren Exekutive verteidigen.“
Zudem unterstreicht Böhm, dass es für die lebensgefährlich Verletzten, die nach der Räumung aus dem Lager der Protestierenden beklagt wurden, bis dato keinerlei Beweise gebe. Zwar bedauert er, dass es auf beiden Seiten zu Verletzungen kam – allerdings liegt das aus seiner Sicht auch in der Natur der Sache: „Dass es im Getümmel einer Räumung einer so großen Fläche mitunter ruppig zugeht, muss doch jedem klar sein.“
Anmerkungen der Redaktion
Christian Böhm ist seit 2007 Redakteur bei FOCUS-Online. Von 2010 bis 2018 war er als Redakteur für die WELT tätig, von 2020 bis 2022 arbeitete er bei der ERL-Immobiliengruppe als Leiter im Content & Newsroom. Daneben schrieb Böhm für den FOCUS. Gegenüber den Klimaaktivist:innen der Initiative „Lützerath lebt“ nimmt Böhm eine kritische Haltung ein. Nachdem eine Sprecherin sich ohne Angabe von Belegen über Polizeigewalt und strukturellen Rassismus beschwert hatte, bezeichnete er die Aktivist:innen in einem Meinungsbeitrag unter anderem als „Klima-Krawallos“ und „linksextreme Staatsfeinde“.
Der FOCUS ist ein wöchentlich erscheinendes deutsches Nachrichtenmagazin. Er wurde 1993 vom Hubert Burda Verlag als Konkurrenz zum SPIEGEL gegründet. Das Magazin erschien zuletzt in einer verkauften Auflage von rund 243.700 Exemplaren (3/2022) und gehört damit zusammen mit dem SPIEGEL und dem STERN zu den reichweitenstärksten deutschen Wochenmagazinen. Der FOCUS gilt dabei in seiner Ausrichtung im Vergleich zu den beiden Konkurrenzmagazinen als konservativer. Auch der Online-Auftritt des Magazins gehört zu den reichweitenstärksten in ganz Deutschland: Laut der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) hatte FOCUS.DE im Oktober 2022 rund 24,6 Millionen Nutzer:innen zu verzeichnen. Das GOETHE-INSTITUT befindet, das Blatt vertrete eine wirtschaftsliberale Haltung und wende sich „mit vielen grafischen Darstellungen und farbintensiven Bildern insbesondere an Leser:innen mit weniger Zeit“. Wie viele andere Medien in Deutschland hat der FOCUS seit Jahren stark sinkende Verkaufszahlen zu verzeichnen: Anfang 2000 lag die Auflage noch bei knapp 811.000 verkauften Exemplaren.
„Gewalt als einzige Lösung? Kommt endlich zur Sache – Ein Kommentar“
Express, 25.01.2023 - Alexander Haubrichs
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Bei einigen Szenen hat die Polizei keine gute Figur gemacht, meint der Redakteur Alexander Haubrichs. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht er daher in der Pflicht, sich einige kritische Fragen zu stellen. Etwa: „Wie es sein kann, dass in derartiger Vielzahl Videos von roher Gewalt von Einsatzkräften gegen Demonstrierende auftauchen?“, plädiert Haubrichs in der Boulevardzeitung EXPRESS.
Angesichts der „kaum vierstelligen Zahl“ an Lützerath-Besetzer:innen zweifelt der Redakteur zudem, ob es wirklich eines „derart irrwitzigen Aufgebots“ an Beamt:innen gebraucht hätte. Ebenso fragwürdig findet Haubrichs, „ob es wirklich nötig war, dass Bilder um die Welt gehen, auf denen die Klima-Ikone Greta Thunberg von deutschen Staatsdienern über einen Acker geschoben wird“. In seinen Augen war das Vorgehen der Lützerath-Demonstrierenden „vergleichsweise harmlos“ – jedenfalls, wenn man es mit den Protesten der Anti-Atomkraft-Bewegung in den 80er-Jahren vergleiche.
Selbst Reul habe bereits eingestanden, dass einige Videos „nicht so gut aussehen“. Doch Haubrichs wittert schon das „reflexhafte Verteidigen der Polizeikräfte“, welches Reul seiner Ansicht nach auch im Falle des niedergeschossenen 16-Jährigen aus Dortmund demonstrierte. Dazu stuft der Redakteur es als schwierig ein, die Gewaltfälle überhaupt aufzuarbeiten – nicht zuletzt, weil Reul 2017 die Kennzeichnungspflicht für Beamt:innen aufhob.
Anmerkungen der Redaktion
Alexander Haubrichs ist Redakteur beim EXPRESS, einer regionalen Boulevardzeitung aus Köln. Haubrichs hat Politikwissenschaft und Soziologie an der Uni Trier studiert. Von 1998 bis 2001 arbeitete er als freier Mitarbeiter beim TRIERISCHEN VOLKSFREUND. Beim EXPRESS berichtet er über das regionale und überregionale Nachrichtengeschehen und setzt seinen Schwerpunkt im Fußball-Ressort.
Der EXPRESS ist eine regionale Boulevardzeitung aus Köln. Der EXPRESS erscheint täglich in der DuMont Mediengruppe aus Köln, ein Familienunternehmen, das unter anderem auch den KÖLNER STADT-ANZEIGER herausgibt. In den letzten Jahren hat die einst einflussreiche DuMont Mediengruppe an Einfluss verloren; Medienjournalist Steffen Grimberg verglich das Familienunternehmen gar mit den „Buddenbrooks“. Chefredakteur des EXPRESS ist Carsten Fiedler, der unter anderem für den MITTELDEUTSCHEN EXPRESS, die BERLINER MORGENPOST und DIE WELT tätig gewesen ist. Redaktionsleiter des Online-Auftritts von EXPRESS ist der Journalist Christian Spolders, der zunächst für die RHEINISCHE POST gearbeitet hatte und seit 2016 für den EXPRESS tätig ist. Überregionale Redaktionsinhalte des EXPRESS werden vom REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND (RND) bezogen. Die Auflage des EXPRESS lag im 3. Quartal 2022 bei rund 42.000 Exemplaren. Mit einer Auflage von rund 339.000 Exemplaren im Jahr 1998 hat der EXPRESS rund 88 Prozent seiner Auflage eingebüßt. Der Online-Auftritt des EXPRESS hatte im November 2022 laut Similarweb rund 22,5 Millionen Besuche zu verzeichnen.
„Gefährliche Proteste ohne Presse“
Tageszeitung (TAZ), 17.01.2023 - Jelena Malkowski
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Lützerath wurde unter eingeschränkter Pressefreiheit geräumt, bemängelt die Redakteurin Jelena Malkowski. Am umzäunten Bereich des Weilers etwa habe die Polizei zeitweise keine Presse durchgelassen. Malkowski sieht darin einen Verstoß: „Die Polizei darf dieses Recht eigentlich nicht einschränken“, beanstandet sie in der TAGESZEITUNG (TAZ).
Üblicherweise dürfe die Presse hinter Polizeiabsperrungen gehen und in Fällen von öffentlichem Interesse auch Privatgelände betreten. Aus Lützerath dagegen sei phasenweise von einem eingeschränkten Zugang und einer unüblichen Akkreditierung von Journalist:innen zu berichten. „Das ist problematisch, denn wenn der Presse Zugang verwehrt wird, fehlt eine unabhängige Berichterstattung“, wendet Malkowski ein.
Das berge auch Risiken für die Aktivist:innen: „Immer wieder ist zu hören, dass die Polizei weitaus brutaler vorgeht, wenn keine unabhängigen Beobachter*innen vor Ort sind“, schreibt Malkowski in ihrem Kommentar. Eine unabhängige Berichterstattung schütze auch die Protestierenden. Aber Malkowski zieht das Fazit: „Das war in Lützerath nur teilweise möglich.“
Anmerkungen der Redaktion
Jelena Malkowski ist Redakteurin bei der Berliner TAGESZEITUNG (TAZ). Dort schreibt sie hauptsächlich über das Klima, insbesondere über globale Gerechtigkeit. Sie hat einen Bachelor im Fach Ethnologie an der Universität Hamburg absolviert und daraufhin im Master internationalen Journalismus in Hamburg und Aarhus studiert. Bereits während ihres Studiums hat sie sich journalistisch bei Print- und Onlinemedien engagiert, unter anderem für das Magazin MITTENDRIN der Partei Die Linke in Berlin-Mitte.
Die TAGESZEITUNG (TAZ) ist eine überregionale deutsche Tageszeitung. Sie wurde 1978 als alternative, selbstverwaltete Zeitung – unter anderem vom Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele – gegründet. Die Zeitung hat sich besonders in ihrer Anfangszeit an Linke, Studierende, Grüne und die Hausbesetzer-Bewegung gerichtet. Erklärtes Ziel der TAZ ist es seither, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Sie gehört heute zu den zehn größten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland, mit einer verkauften Auflage von rund 45.000 Exemplaren (3/2022). Nach eigenen Angaben verzeichnet die Webseite TAZ.DE bis zu 12 Millionen Zugriffe monatlich (9/2021). Das Goethe-Institut verortet die TAZ als „grün-linkes“ Blatt und betont besonders die oft sehr kritische Berichterstattung der Zeitung. Eurotopics sieht die TAZ als linkes Medium und stellt die gestaffelte Preisgestaltung und die Entscheidung gegen Online-Bezahlschranken als Besonderheiten der Zeitung heraus. Die TAZ wird genossenschaftlich herausgegeben, jährlich findet eine Generalversammlung statt, an der jedes der zuletzt (2022) rund 22.000 Mitglieder teilnehmen kann.
„‚Die Welt schaut auf Lützerath‘“
Netzpolitik.org, 16.01.2023 - Caja Thimm, Carla Siepmann
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Mit ihren Tweets in den sozialen Medien hat sich die Polizei keinen Gefallen getan, urteilt die Medienwissenschaftlerin Caja Thimm im Gespräch mit der Autorin Carla Siepmann für den Blog NETZPOLITIK.ORG. Zwar habe die digitale Kommunikation der Ordnungsmacht darauf abgezielt, die Lage zu deeskalieren. Doch nach Thimms Analyse ergibt sich daraus allenfalls ein widersprüchliches Bild.
Einerseits habe die Polizei auf rationale, verbale Kommunikation mit den Protestierenden gesetzt, um die Gewalt zu stoppen. Auf der anderen Seite sehe die Bevölkerung dann in den sozialen Medien „schockierende Polizeigewalt“. Das ist nicht klug, findet Thimm. „Die Polizei hätte in ihrer Kommunikationsstrategie viel mehr drauf achten müssen, wie groß die Macht der Bilder ist, die die Gewalt zeigen.“ Es sei ein Widerspruch, sich zunächst besorgt um das Leben von Demonstrierenden zu zeigen und gleichzeitig „unnötigerweise heftige Gewalt“ anzuwenden. Nicht zuletzt durch die massive digitale Präsenz der Aktivist:innen gebe es inzwischen sehr viel Bildmaterial. „Und die zahlreichen kursierenden Videos rücken die Polizist:innen vor Ort nicht gerade in ein gutes Licht“, so die Medienwissenschaftlerin.
In der medialen Darstellung hält Thimm auch die Kooperation zwischen Polizei und RWE für heikel. So teilte die Polizei Aachen etwa einen Tweet von RWE, in dem der Energiekonzern vor der „Falschmeldung“ warnte, der Tunnel zweier Aktivist:innen sei zusammengebrochen. Dass die Polizei diese Nachricht aufgriff und weiterverbreitete, hält Thimm nicht für angemessen. Einerseits entstehe dadurch der Eindruck mangelnder Distanz. Andererseits sei ein Unternehmen in diesem Zusammenhang keine legitime Instanz, um Meldungen von Falschmeldungen zu unterscheiden.
Anmerkungen der Redaktion
Caja Thimm ist eine deutsche Medienwissenschaftlerin. Sie ist Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität an der Universität Bonn. Thimm hat in Heidelberg, San Francisco und Berkeley Linguistik, Communication Studies und Politische Wissenschaft studiert. In Heidelberg promovierte sie schließlich im Fach germanistische Linguistik. Nach einer Anstellung im Verlagswesen arbeitete sie zunächst von 1991 bis 1996 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Heidelberg. Anschließend habilitierte sie sich, woraufhin sie 2000 einen Ruf als Professorin an die Universität Bonn erhielt. Thimm beschäftigt sich schwerpunktmäßig unter anderem mit digitaler Demokratie, Onlinemedien und politischer Kommunikation.
Carla Siepmann ist Schülerin am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Pankow. Sie ist auf Twitter unter dem Account @CarlaSiepmann aktiv und schreibt als Autorin für unterschiedliche deutsche Medien. Ihre Artikel wurden unter anderem in der TAZ, im TAGESSPIEGEL oder auf NETZPOLITIK.ORG veröffentlicht.
NETZPOLITIK.ORG ist ein 2002 gegründetes Online-Portal, das sich mit netzpolitischen Themen befasst. Dazu gehören unter anderem staatliche Überwachung, Telekommunikationsgesetze und Open-Source-Software. Bis 2010 wurde NETZPOLITIK.ORG über Werbung, Spenden und durch die Agentur „Newthinking“ querfinanziert. Einnahmen gab es auch durch Workshops und Vorträge der einzelnen Autor:innen. Die Plattform engagiert sich laut eigener Aussage für digitales Freiheitsrecht und bezeichnet sich deshalb selbst als „nicht neutral“, da sich die Autor:innen auch für die politische Umsetzung jener Freiheitsrechte einsetzen. Gründer Markus Beckedahl bezeichnet NETZPOLITIK.ORG als „Mittelding zwischen Nichtregierungsorganisation und Medium, vergleichbar mit einer Mischung aus GREENPEACE und TAZ“. NETZPOLITIK setzt sich dauerhaft für einen stärkeren Datenschutz ein.
„Die Folgen der Gewalt von Polizei und Demonstrierenden“
Deutschlandfunk (DLF) Nova, 16.01.2023 - Thomas Feltes, Sonja Meschkat
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Der Kriminologe und Jurist Thomas Feltes erläutert im Interview mit der Moderatorin Sonja Meschkat vom Hörfunksender DEUTSCHLANDFUNK (DLF) NOVA, wie die Behörden den umstrittenen Einsatz von Lützerath nachbereiten.
Laut Feltes wird die Nachbereitung in zwei Stränge unterteilt: Zum einen werde die Taktik und der Ablauf des Einsatzes ausgewertet. Das sei im Falle von Lützerath allein aufgrund der hohen Anzahl an beteiligten Einheiten aus unterschiedlichen Bundesländern besonders schwierig. Zum anderen sammele und bündele man alle Strafanzeigen und übergebe diese gegebenenfalls an die Staatsanwaltschaft.
Feltes erklärt, dass Anzeigen gegen eine Polizeibehörde oder deren Polizeibeamt:innen in NRW grundsätzlich von der Nachbarbehörde bearbeitet werden. Wenn Beamt:innen gegen Kolleg:innen ermitteln, sei das jedoch problematisch: „Wir wünschen uns da natürlich eine andere Lösung, die bedeutet, dass es unabhängige Untersuchungseinrichtungen gibt“, so der Kriminologe.
Unverhältnismäßige Polizeigewalt könne Einsatzkräften zur Last gelegt werden, wenn angewendete Mittel nicht im Verhältnis zum Ziel stehen. Feltes verdeutlicht: „Wenn Demonstranten versuchen eine Polizeikette zu durchbrechen, dann dürfen sie natürlich daran gehindert werden, aber sie dürfen nicht so gehindert werden, dass man mit Schlagstöcken (…) ins Gesicht schlägt.“ Ein Demonstrant jedoch, der einen Polizeibeamten verletzte, dürfe auch mit anderen Mitteln abgewehrt werden.
Laut des Kriminologen laufen die allermeisten Strafanzeigen, die sich um Polizeigewalt drehen, jedoch ins Leere. „Das Grundproblem ist, dass (…) ganz oft eben Aussage gegen Aussage steht und die Verfahren dann von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden.“ Das sei in etwa 95 bis 98 Prozent der Fälle so.
Anmerkungen der Redaktion
Thomas Feltes studierte Rechts- und Sozialwissenschaften und wurde 2002 Professor für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität-Bochum. Nebenbei arbeitete er als Strafverteidiger und Gutachter. Seit 2018 ist er außerdem Mitglied der Anti-Folter-Kommission (CPT) des Europarates. Er veröffentlichte mehrere Bücher über Polizeiforschung und gibt den monatlichen „Polizei-Newsletter“ heraus.
Sonja Meschkat ist Journalistin und Radiomoderatorin bei dem Hörfunksender DEUTSCHLANDFUNK NOVA. Sie moderiert hier unter anderem die Magazine „Update“ sowie „Eine Stunde Musik“. Außerdem ist sie Teil des Redaktionsteams des Podcasts „Der Tag“.
DEUTSCHLANDFUNK NOVA ist wie der DEUTSCHLANDFUNK eines der drei bundesweiten Programme des DEUTSCHLANDRADIOS. Der DEUTSCHLANDFUNK wurde 1962 gegründet. DEUTSCHLANDFUNK NOVA (früher DRADIO WISSEN) ist das dritte und jüngste Programm des Deutschlandradios und ist erstmals 2010 auf Sendung gegangen. Seit 2014 positioniert sich der Sender besonders für eine junge Zielgruppe mit hohem Wortanteil und heterogener Musikauswahl. Laut der Media-Analyse „ma Audio 2021“ wird DEUTSCHLANDFUNK NOVA täglich von rund 140.000 Menschen eingeschaltet.
„Räumung von Lützerath: Distanzierter Blick aus der Lausitz“
Inforadio, 12.01.2023 - Andreas Rausch, Angela Ulrich
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Die Perspektive in 30 Sekunden
Auch in der Lausitz hat der Braunkohleabbau Tradition: In den letzten 100 Jahren wurden dort rund 130 Orte für den Tagebau abgebaggert. Wie werden die Lützerather Proteste in der Lausitz verfolgt? Im INFORADIO-Interview befragt die Moderatorin Angela Ulrich hierzu den Leiter des RBB-Studios in Cottbus, Andreas Rausch.
Rausch berichtet, in der Lausitz werde der Protest eher distanziert verfolgt. Zwar wird auch hier – kurz hinter der Brandenburger Landesgrenze, in Sachsen – noch ein letzter Ort abgebaggert: das Dorf Mühlrose. Doch nach kurzem Protest arrangiere sich der Großteil der Menschen damit. In der Lausitz habe auch der bundesweite Aufruf von Fridays for Future während der Lützerath-Räumung kaum zu Reaktionen geführt: „[V]ielleicht sagt es genug aus, wenn mir hier in der Lausitz keinerlei solcher Demonstrationen oder Kundgebungen bekannt sind“, so Rausch.
In Mühlrose habe der Energiekonzern LEAG inzwischen als Eigentümer des Geländes angefangen, den Ort abzubrechen. Laut Rausch gibt es dort zwar noch zwei oder drei bewohnte Häuser. Doch den Ort bezeichnet er als „nicht mehr lebenswert“: mit einer Braunkohle-Grubenkante „direkt vor der Nase“ und abgepumptem Grundwasser, sodass kein Garten mehr gewässert werden könne. Die meisten Bewohner:innen seien daher längst weggezogen. Die einstige Bevölkerung von Mühlrose habe sich zudem mehrheitlich verbeten, „dass der Ort instrumentalisiert wird für eine größere Auseinandersetzung um das Thema Klimaschutz“.
Für die ostdeutschen Länder Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg gelte der Kohleausstieg im Jahr 2038 – möglicherweise auch schon 2035 – weiterhin als Zielsetzung. Ein auf 2030 vorgezogener Ausstieg wie in NRW werde aktuell nicht diskutiert. Entscheidend für den Ausstiegszeitpunkt sei die Versorgungssicherheit: „Und da gibt es schlicht die Debatte, wenn wir zu zeitig aus Kohle aussteigen, parallel aus Atom, dass es nicht genug Strom gibt, um diese Industrienation Deutschland am Leben zu erhalten.“
Anmerkungen der Redaktion
Andreas Rausch ist Moderator beim RBB. Seit 2008 leitet er die Redaktion für Hörfunk/Fernsehen/Online im Studio Cottbus, seit 2018 moderiert er den politischen Bürgertalk „Wir müssen reden“: ein Debattenforum für Bürger:innen in Cottbus und Umgebung. Zunächst hat Rausch während seines Journalistik-Studiums im Radio moderiert, unter anderem für den MDR, den DEUTSCHLANDFUNK und den OSTDEUTSCHEN RUNDFUNK BRANDENBURG (ORB). Für den ORB begann er später zusätzlich, Fernsehreportagen zu drehen – viele davon über die Braunkohleindustrie. Bis heute berichtet er als Reporter vor Ort über die Braunkohlewirtschaft und den damit einhergehenden Strukturwandel in Brandenburg.
Angela Ulrich ist Journalistin und Redakteurin beim RBB. Dort moderiert sie die Morgensendung im INFORADIO. Zuvor war sie sieben Jahre lang als Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio in Berlin und Paris tätig. In dieser Funktion moderierte sie unter anderem diverse Diskussionsrunden mit Politiker:innen aus Regierung und Opposition.
Das INFORADIO ist Teil der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt RUNDFUNK BERLIN-BRANDENBURG (RBB). Es ist 1995 als Kooperationsmodell des ORB und der SFB nach dem Vorbild des BAYRISCHEN RUNDFUNKS gegründet worden. Es ist das Nachrichtenprogramm des RBB und sendet neben Nachrichten sowie Wetter- und Verkehrsservice auch Interviews, Hintergrundberichte und Kommentare. Programmchefin des INFORADIOS ist seit 2021 die Journalistin Stephanie Pieper, die zuvor unter anderem als ARD-Korrespondentin in London und stellvertretende Programmchefin von NDR Kultur tätig gewesen ist.