Debatte um Polizeigewalt: Können Bodycams das Vertrauen in die Polizei stärken?

26.08.2022 - Themenbereiche: Demokratie, Gesellschaft, Nordrhein-Westfalen
Polizist mit Bodycam

Kurzfassung

Was genau passierte während des Polizeieinsatzes am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt? Auch Wochen nach den tödlichen Schüssen auf einen 16-jährigen Jungen aus dem Senegal wird weiter über den exakten Tathergang gerätselt. Medienberichten zufolge blieben die Bodycams der beteiligten Beamten während des Einsatzes ausgeschaltet.

Debatte um Einsatz von Bodycams

Während die einen Bodycams als Schritt in Richtung Überwachungsstaat werten, geht anderen der sporadische Einsatz der Körperkameras längst nicht weit genug. So mehren sich kritische Stimmen, die fordern, nicht allein die Polizei dürfe entscheiden, wann etwas aufgezeichnet werden müsse – und wann nicht.

Braucht es Körperkameras, um Polizeieinsätze abzusichern? Können Bodycams das Vertrauen in die Polizei stärken?

Acht Perspektiven

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„Bodycams richtig einsetzen – oder abschaffen“

Netzpolitik.org, 19.08.2022 - Markus Reuter

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Bodycams werden noch immer zu selten eingesetzt, kritisiert der Redakteur Markus Reuter. Das liege auch daran, dass die Kamera am Revers in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen vor allem als Instrument zum Schutz der Polizei gelte. „Dabei könnten Bodycams eigentlich auch den Bürger:innen helfen, gegen Fehlverhalten von Polizist:innen vorzugehen“, kommentiert der Autor auf dem Online-Portal NETZPOLITIK.ORG.

Reuter plädiert dafür, die Bodycams in den Dienst der Gesamtgesellschaft zu stellen – und die demokratische Kontrolle dadurch gezielt zu verbessern. Die Menschenrechtsorganisation AMNESTY INTERNATIONAL etwa fordere seit Jahren, dass die Kamera auch auf Verlangen von zivilen Personen eingeschaltet wird. Ohne die Möglichkeit einer gegenseitigen Kontrolle stiftet die Bodycam laut Reuters vor allem Unfrieden: „[S]olange die Polizei entscheidet, ob sie filmt und speichert, fördern Bodycams die Allgegenwart von Überwachung und erhöhen das Machtgefälle zwischen Polizei und Bürgerschaft“, befürchtet er.

Diese „Schieflage in Deutschland“ dränge darauf, die Bodycam zu einem Instrument zu machen, das auch Polizistinnen und Polizisten kontrolliert. „Wenn wir (…) ein Mehr an Überwachung hinnehmen, dann muss die Überwachung zum Ausgleich in beide Richtungen verlaufen und so ein Mehr an Kontrolle des Staates liefern“, argumentiert der Autor. „Doch in der polizeilichen Praxis sind die Kameras bei umstrittenen Einsätzen auffallend häufig ausgeschaltet.“

Anmerkungen der Redaktion

Markus Reuter arbeitet seit 2016 als Redakteur bei NETZPOLITIK, wo er sich unter anderem mit den Themen Videoüberwachung, Fake News, Hassrede und Zensur auseinandersetzt. Zu diesen Themen trat Reuter auch als Experte im Bundestag auf. Auch in anderen Medien wird Reuter des Öfteren als Experte zum Thema Netzpolitik interviewt.

NETZPOLITIK.ORG ist ein 2002 gegründetes Online-Portal, das sich mit netzpolitischen Themen befasst. Dazu gehören unter anderem staatliche Überwachung, Telekommunikationsgesetze und Open-Source-Software. Bis 2010 wurde NETZPOLITIK.ORG über Werbung, Spenden und durch die Agentur „Newthinking“ querfinanziert. Einnahmen gab es auch durch Workshops und Vorträge der einzelnen Autor:innen. Die Plattform engagiert sich laut eigener Aussage für digitales Freiheitsrecht und bezeichnet sich deshalb selbst als „nicht neutral“, da sich die Autor:innen auch für die politische Umsetzung jener Freiheitsrechte einsetzen. Gründer Markus Beckedahl bezeichnet NETZPOLITIK als „Mittelding zwischen Nichtregierungsorganisation und Medium, vergleichbar mit einer Mischung aus GREENPEACE und TAZ“. NETZPOLITIK setzt sich dauerhaft für einen stärkeren Datenschutz ein.

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„Der Einsatz von Bodycams trägt zur allgemeinen Sicherheit bei“

Tageblatt, 03.08.2021 - Eric Hamus

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Aus Sicht des Journalisten Eric Hamus sind Bodycams essenziell, um tödliche Polizeieinsätze lückenlos aufzuklären. Dabei mache nicht nur der Respekt vor der Gesellschaft ihren Einsatz erforderlich: „Sondern auch die Verpflichtungen des Staates gegenüber einem Beamten, der sich letztendlich gezwungen sah, in der Ausübung seiner Pflichten zur Dienstwaffe zu greifen“, mahnt Hamus im Sommer 2021 in einem Editorial des luxemburgischen TAGEBLATT. Kurz zuvor war in der Region ein Mann durch Polizeischüsse ums Leben gekommen.

Wenn Polizeieinsätze zivile Opfer hervorbringen, gerate das Grundprinzip der Unschuldsvermutung schnell in Vergessenheit. „Eine Bodycam hingegen würde Polizisten in diesen Situationen zumindest die Gewissheit verleihen, dass sie später nicht unberechtigt für ihr Handeln verurteilt werden“, schreibt Hamus – und warnt vor einer Staatsmacht, die die öffentliche Ordnung aus Furcht vor möglichen Konsequenzen nicht mehr bereit zu verteidigen sei. Er ist überzeugt, dass die tragischen Zwischenfälle in Polizeikreisen als mahnendes Beispiel dafür gelten, „wie schnell Beamte von Behörden und Politik auf dem Trockenen sitzen gelassen werden, wenn die öffentliche Wahrnehmung des ausführenden Arms der Staatsmacht auch nur ansatzweise ins Wanken gerät“.

Voreilige Schlüsse und Verurteilungen in den sozialen Netzwerken hält Hamus daher für fatal: „Unsere Gesellschaft kann es sich nicht erlauben, einen weiteren Ordnungshüter unter dem lautstarken Gebrüll der vox bovi auf dem digitalen Scheiterhaufen des multimedialen Zeitalters hinzurichten, bevor die Ermittlungen abgeschlossen sind.“ Um den Ermittlungsprozess zu beschleunigen, sei es umso wichtiger, tödliche Polizeieinsätze mithilfe von Bodycams zweifelsfrei nachzeichnen zu können – auch zum Schutze vor einer medialen Vorverurteilung der Polizei.

Anmerkungen der Redaktion

Eric Hamus, Jahrgang 1977, ist Redakteur beim TAGEBLATT aus Luxemburg. Zuvor hat Hamus für RTL RADIO LUXEMBURG und das LUXEMBURGER WORT, die größte Tageszeitung Luxemburgs, gearbeitet. Hamus war außerdem tätig für die Filmproduktionsfirmen Carpe Diem Film und Magic Multimedia, bevor er rund neun Jahre beim LUXEMBURGER WORT beschäftigt gewesen ist: zunächst als freier Mitarbeiter, später als Redakteur und letztlich als stellvertretender Leiter der Lokalredaktion. Das LUXEMBURGER WORT verließ Hamus, um zunächst Redakteur bei RTL und schließlich im Jahr 2019 Redakteur beim TAGEBLATT zu werden.

Das TAGEBLATT ist nach dem LUXEMBURGER WORT die zweitgrößte luxemburgische Tageszeitung. Die Zeitung erscheint seit 1913 und wird durch Verkaufs- und Anzeigenerlöse, aber auch zu Teilen durch den luxemburgischen Staat finanziert. Herausgegeben wird das TAGEBLATT vom luxemburgischen Verlag Editpress, der unter anderem auch LE QUOTIDIEN und LE JEUDI herausgibt. Von EUROTOPICS wird das TAGEBLATT als links eingeordnet. Das TAGEBLATT hat laut eigenen Angaben eine Auflage von rund 8.500 Exemplaren. Chefredakteur ist der luxemburgische Journalist Dhiraj Sabharwal.

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„Bodycams machen Städte sicherer, smarter und lebenswerter“

Crisis Prevention, 04.01.2021 - Jochen Sauer

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Experte für Sicherheitstechnik Jochen Sauer hält Bodycams für eine nachhaltige Stadtentwicklung für unverzichtbar – denn die Attraktivität einer Stadt hänge vor allem von der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ab. Am Körper getragenen Kameras schreibt der Autor auf dem Fachportal CRISIS PREVENTION eine Schlüsselrolle zu: als „wirksames Mittel“ zur Beweissammlung, zur Abschreckung von Straftaten und zum Training von Polizei und Sicherheitspersonal.

Häufig vorgetragene Datenschutz-Bedenken hält Sauer dabei für unbegründet: „Es gilt, alle Daten sowohl während der Speicherung als auch während der Übertragung zu verschlüsseln“, unterstreicht er. Laut seinen Ausführungen kommen bei Bodycams führender Anbieter verschiedene Technologien zum Einsatz, die das Datenmaterial vollständig End-to-End verschlüsseln: Es werde also auf sämtlichen Übertragungswegen vor Zugriffen geschützt. Daneben müsse die Übertragung auf einen Server voll automatisiert erfolgen. „Auf diese Weise ist weder eine menschliche Interaktion erforderlich, noch kann während des Prozesses ein Ausschnitt aus dem Filmmaterial herausgenommen werden“, führt Sauer aus.

Er ist überzeugt, dass sich die Anwendungsbereiche der Bodycams mit Blick auf die Stadtentwicklung deutlich ausweiten werden. Als Perspektive skizziert er die „Smart City“: eine Stadt, in der modernste Technologie intelligent eingesetzt wird – für ein Mehr an Lebensqualität und Sicherheit. Laut des Experten für Sicherheitstechnik könne das verschlüsselte Datenmaterial der Bodycams zukünftig etwa in vorhandene Videosicherheitssysteme integriert werden – und letztlich in „das gesamte Ökosystem einer Smart City“.

Anmerkungen der Redaktion

Jochen Sauer ist Sicherheitsexperte und arbeitet beim Sicherheitsdienstleister Axis Communications als Architect & Engineering Manager. Axis Communications ist vor allem auf die Videoüberwachung spezialisiert. Zuvor hat Sauer 10 Jahre lang für den Mischkonzern Honeywell gearbeitet, der ebenfalls einen großen Teil seines Umsatzes als Sicherheitsdienstleister erwirtschaftet. Sauer beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Videosicherheitstechnik.

CRISIS PREVENTION ist ein deutsches Fachportal für Gefahrenabwehr, Innere Sicherheit und Katastrophenhilfe. Der Sitz der zentralen Redaktion ist in Bonn beim Beta Verlag. Der Beta Verlag gibt neben CRISIS PREVENTION auch mehrere Publikationen zum Thema Militär und insbesondere der Militärmedizin heraus, wie beispielsweise die WEHRMEDIZIN UND WEHRPHARMAZIE oder die EUROPEAN MILITARY MEDICAL SERVICES. Ziel des Beta-Verlages ist es, Expert:innen und Vertreter:innen aus der Industrie mithilfe von Publikationen, Vorträgen und Kongressen zusammenzubringen. Geschäftsführerin des Beta-Verlags ist Heike Lange. Die Auflage des vierteljährlich erscheinenden Magazins beträgt etwa 8000 Stück.

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„Wenn die Kamera aus bleibt“

Frankfurter Rundschau, 21.08.2022 - Rafael Behr, Felix Huesmann

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Rafael Behr, Kriminologe und Professor für Polizeiwissenschaft, kann dem derzeitigen Einsatz der Bodycam in Hinblick auf die Beweissicherung nur wenig abgewinnen. Zwar gehöre die Körperkamera zu den Instrumenten der Polizei, die am wenigsten Schmerzen verursachen. Doch so, wie sie derzeit in Deutschland eingesetzt werden, seien Bodycams keine Hilfe, macht der Ex-Polizist im Gespräch mit dem Journalisten Felix Huesmann für die Tageszeitung FRANKFURTER RUNDSCHAU deutlich.

Behr prangert an, dass es bei dem Einsatz der Körperkameras bislang nicht um die Rechtmäßigkeit polizeilicher Handlungen gehe, sondern lediglich um die Beweissicherung und die abschreckende Wirkung auf das polizeiliche Gegenüber. In den USA sei das anders: Dort unterliege der Gebrauch von Bodycams Gesetzen, die die Kameras zu einem effektiven Mittel der Polizeiaufsicht machen. Laut Behr muss es auch in Deutschland konkretere Vorgaben geben, wann die Kameras eingeschaltet werden müssen. Die aktuelle Praxis sei für die Bevölkerung nicht nachvollziehbar: „Man hat das Gefühl, die Beamten entscheiden willkürlich, was sie filmen und was nicht“, so Behr.

Er warnt, die Kamera am Revers werde das Vertrauen in die Staatsmacht ohne einen „Kulturwandel bei der Polizei“ noch weiter untergraben. Denn zum jetzigen Zeitpunkt seien die Bodycams aufgrund „des Einwirkens der Polizeigewerkschaften und der Personalräte“ nur als Herrschaftsinstrument und nicht als neutrales Beweismittel zu gebrauchen. „Das Bollwerk, das im Moment durch die Polizeigewerkschaften aufgebaut ist, dass die Kamera nur die ‚Gegner‘ aufzeichnet, muss beseitigt werden.“

Anmerkungen der Redaktion

Rafael Behr ist ein deutscher Professor für Polizeiwissenschaften am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg. Er lehrt dort Kriminologie und Soziologie und leitet die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit. Seine Forschungsschwerpunkte sind Organisationskultur, Empirische Polizeiforschung, Devianz und soziale Kontrolle sowie ethnographische Kulturforschung. Behr war 15 Jahre lang Polizeibeamter der hessischen Bereitschaftspolizei und studierte später Soziologie und Psychologie an der Universität Frankfurt. Nachdem er zehn Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Frankfurt tätig gewesen war, promovierte er im Jahr 1999 mit der Schrift „Cop Culture“, die sich mit der Organisationskultur der Polizei auseinandersetzt. Behr gilt als prominenter Kritiker der AfD sowie von AfD-Anhänger:innen innerhalb der Polizei.

Felix Huesmann ist freier Journalist und Online-Nachrichtenredakteur im Hauptstadtbüro des REDAKTIONSNETZWERKS DEUTSCHLAND (RND). Er arbeitet unter anderem auch für BUZZFEED NEWS und ÜBERMEDIEN. Er befasst sich hauptsächlich mit Verschwörungsideologien, Rechtsextremismus und der Neuen Rechten im Netz. Er hat als freier Journalist und Politikredakteur für das Newsportal WATSON in Berlin gearbeitet sowie als Redakteur für das Straßenmagazin BODO, das von Menschen in schwierigen sozialen Lagen in der Region Dortmund, Bochum und Umgebung vertrieben wird. Außerdem war Huesmann 2017 und 2018 als freier Mitarbeiter bei der DEUTSCHEN PRESSE-AGENTUR (DPA) tätig. Er hat einige Semester Sozialwissenschaften in Bochum studiert, das Studium jedoch abgebrochen, um als freier Journalist im Ruhrgebiet tätig zu sein.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU (FR) ist eine Tageszeitung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie erschien erstmals 1945 und sollte ein linksliberales Gegenmodell zur eher konservativ ausgerichteten Frankfurter Konkurrenz (FAZ, FNP) darstellen. Durch die Medienkrise brach das sonst auflagenstarke Blatt ab 2001 ein und musste 2012 Insolvenz anmelden. Das Goethe-Institut bemerkte 2011, das einstige „Leitmedium der linken Intellektuellen“ sei redaktionell „bis zur Bedeutungslosigkeit ausgedünnt“. Nach mehreren Übernahmen und Verkäufen in den letzten zwanzig Jahren gehört sie seit 2018 zur Ippen-Verlagsgruppe, einem der größten Medienkonzerne in Deutschland. Der Ippen-Konzern stand 2021 in der Kritik, weil Verlagschef Dirk Ippen eine kritische Berichterstattung seines verlagseigenen Investigativ-Teams über den umstrittenen Ex-BILD-Chefredakteur Julian Reichelt verboten hat. Die verkaufte Auflage der FRANKFURTER RUNDSCHAU wird nur zusammen mit anderen Publikationen des Ippen-Konzerns im Raum Hessen ausgegeben: Die verkaufte Auflage dieser insgesamt sechs Publikationen lag im ersten Quartal 2022 bei rund 149.000 Exemplaren.

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„Tod eines 16-jährigen Senegalesen“

Die Kolumnisten, 13.08.2022 - Heinrich Schmitz

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger Heinrich Schmitz warnt davor, Bodycams als Allheilmittel für die Strafermittlung zu glorifizieren. Das gelte auch für den tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund: „Selbst wenn es hier Videos aus den Bodycams der Beamten geben sollte, zeigt ein Video immer nur das äußere Bild aus der Position des Filmenden“, gibt er auf dem Meinungsblog DIE KOLUMNISTEN zu bedenken.

Zwar sei die genaue Tatabfolge ausschlaggebend für die Frage, ob der Dortmunder Schütze in Notwehr oder auch in Nothilfe gehandelt hat und ob er dadurch zur Abgabe der Schüsse berechtigt war. Doch auch das Videomaterial spiegele nie die exakte Sicht des Schützen – „und vor allem sieht es nicht in dessen Kopf hinein“, wendet Schmitz ein. Daher könne eine Kameraaufnahme auch zu Fragen des Vorsatzes oder der Schuldfähigkeit nur wenig beitragen.

Entscheidender sei es, dass das Innenministerium nun den notwendigen Druck mache – und nichts unter den Teppich kehre. Dass das nicht immer selbstverständlich sei, habe im Jahr 2005 der Fall Oury Jalloh bewiesen: Sein Tod in einer Dessauer Gewahrsamszelle wurde nie aufgeklärt, weil Beweismaterial vernichtet worden war. Im jüngsten Falle des getöteten 16-Jährigen vertraut Schmitz jedoch auf den Willen zu einer lückenlosen Aufklärung: „Insoweit halte ich Innenminister Reul durchaus für glaubwürdig“, betont er.

Anmerkungen der Redaktion

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. Seine Hauptthemen sind das Grundgesetz sowie Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen. In seiner Kolumne „Recht klar“, die zunächst auf THE EUROPEAN erschienen ist und mittlerweile bei DIE KOLUMNISTEN erscheint, erklärt er juristische Sachverhalte allgemeinverständlich. Zuvor hat Schmitz außerdem politische Kolumnen gegen Rechtsextremismus veröffentlicht. Nach einem Angriff gegen ihn und seine Familie gab er im August 2015 eine „Kapitulationserklärung“ ab, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seitdem schreibt er keine explizit politischen Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr, heißt es auf der Internetseite der KOLUMNISTEN.

Der Meinungsblog DIE KOLUMNISTEN wurde 2015 von ehemaligen Redakteur:innen von THE EUROPEAN gegründet, nachdem beim EUROPEAN die gesamte Redaktion entlassen wurde. 2015 hatte sich ein großer Investor von THE EUROPEAN zurückgezogen. Zwölf Männer sind fester Bestandteil der KOLUMNISTEN und haben jeweils ihre eigene Kolumne zu unterschiedlichen Themen: Heiko Heinisch schreibt etwa über Freiheit und Menschenrechte, Sören Heim über Literatur, Heinrich Schmitz über juristische Themen und Jörg Phil Friedrich über Philosophie. Darüber hinaus gibt es auch Gastautor:innen, die Artikel veröffentlichen. Der Blog ist nicht kommerziell und wird durch Spenden finanziert. Die Texte stellen die subjektive Sichtweise der jeweiligen Autor:innen dar. Für den Online-Auftritt sehen sich Kolumnisten jedoch gemeinsam verantwortlich.

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„Was bringen Bodycams bei Polizeigewalt?“

Prigge Recht, 17.06.2022 - Jasper Prigge

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Der Rechtsanwalt Jasper Prigge kann den Rufen nach einem konsequenteren Einsatz von Bodycams keineswegs beipflichten. Vielmehr drängen die Kameras am Revers in seinen Augen in die Schutzzone des Grundrechts ein: „Sicher ist, dass die Videoaufzeichnung einen erheblichen Eingriff in Persönlichkeitsrechte darstellt“, schreibt der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht auf seinem Blog PRIGGE RECHT.

Der Jurist ruft dazu auf, die zunehmende staatliche Überwachung des öffentlichen Raums nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Auch das Bundesverfassungsgericht habe etwa in einem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung entschieden, dass Überwachungsmaßnahmen in ihrer Summe nicht grenzenlos eingeführt werden dürfen: „Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland“, zitiert Prigge das Urteil aus dem Jahr 2010. Zwar lasse sich eine Bodycam keineswegs mit der anlasslosen Speicherung von Daten vergleichen. Dennoch sei auch diese zumindest „ein weiterer Mosaikstein im Gesamtsystem staatlicher Überwachung“.

Für problematisch hält Prigge auch, dass Opfer von Polizeigewalt derzeit nicht einmal berechtigt seien, die Löschung von vorhandenem Videomaterial zu verhindern. Auch mangele es an Beweisen, dass Bodycams die Zahl von Straftaten gegen Polizeibeamte verringern. Für Prigge spricht all das eine eindeutige Sprache: „Soll das ohnehin strapazierte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vollständig entwertet werden, muss der Gesetzgeber akzeptieren, dass nicht jede Kamera, die eingesetzt werden kann, auch eingesetzt werden muss. Irgendwann ist nun einmal Schluss.“

Anmerkungen der Redaktion

Jasper Prigge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht sowie Urheber- und Medienrecht. Er hat sein Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Düsseldorf absolviert und anschließend im Verwaltungsrat der Stadtsparkasse Düsseldorf gearbeitet. Nach rund drei Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat er seine Zulassung als Rechtsanwalt erworben und vier Jahre später ebenfalls in Düsseldorf promoviert.

PRIGGE RECHT ist der Blog der Düsseldorfer Rechtsanwaltskanzlei des Rechtsanwalts und Fachanwalts für Urheber- und Medienrecht Jasper Prigge. Er und Kolleg:innen berichten dort regelmäßig über Fragen zum Urheberrecht, zum Datenschutz, zu Sicherheitsfragen wie Online-Phishing oder zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte. Daneben bietet der Blog Servicethemen an: etwa Checklisten zum korrekten Verhalten im Rechtsfall.

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„Bodycams bei Einsatz in Dortmund ausgeschaltet: Wie NRW die Kameras einsetzt“

Tagesschau.de, 16.08.2022 - Martin Teigeler

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Ende 2019 gab der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) die Bodycams flächendeckend für den Regelbetrieb der Polizei frei: Bis zum Juni 2020 wurden die entsprechenden Stellen in NRW mit knapp 10.000 Kameras ausgestattet. Nach welchen Regeln die Beamt:innen die Bodycams seither einsetzen, hat der Journalist Martin Teigeler für das Online-Portal TAGESSCHAU.DE recherchiert.

Gemäß Paragraf 15 des Landespolizeigesetzes darf die Polizei Bild- und Tonaufzeichnungen nur dann anfertigen, wenn „dies zum Schutz von Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten oder Dritten gegen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist“. Daneben verweist Teigeler auf eine Dienstanweisung, die „Lebenssachverhalte höchstpersönlicher Art“ von einer Kameraaufzeichnung ausschließt. „Ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung muss gewahrt werden, heißt es darin.

Die Kameras müssen bei Bedarf manuell durch die Polizist:innen eingeschaltet werden. Laut Innenministerium wird vorhandenes Videomaterial auf lokale Sicherheitsrechner übertragen. Nach 14 Tagen werden die Daten gelöscht. Warum es während des tödlichen Einsatzes in Dortmund offensichtlich nicht zu Videoaufzeichnungen kam, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Das NRW-Innenministerium führte als möglichen Grund an, dass der 16-Jährige zuvor mit einem Suizid gedroht hatte.

Anmerkungen der Redaktion

Martin Teigeler ist freier Mitarbeiter beim WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR), wo er sich hauptsächlich mit der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Er hat Geschichts- und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum studiert und anschließend fünf Jahre lang für die TAZ als NRW-Korrespondent gearbeitet. Von dort wechselte er zur Nachrichtenagentur DPA. Für den WDR ist er seit 2012 tätig.

Das Online-Nachrichtenportal TAGESSCHAU.DE wurde 1996 veröffentlicht und diente zunächst als begleitendes Infoportal zur gleichnamigen Nachrichtensendung der ARD und anderer Nachrichtenangebote von ARD AKTUELL. Heute ist TAGESSCHAU.DE eine der meist aufgerufenen Informationsplattformen, eine Nachrichten-App und ein eigenständiges Medienangebot. Laut eigenen Angaben verzeichnet die Seite etwa 157 Millionen Seitenaufrufe pro Monat. Die Redaktionsleitung hat Juliane Leopold inne, die auch Chefredakteurin Digitales bei ARD-Aktuell ist. Seit 2017 ist über die Website auch das Onlineportal FAKTENFINDER aufrufbar, das Falschinformationen sammelt und einordnet.

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„Polizist erschießt Jugendlichen: "Das geht tief in die Seele des Beamten"“

Westdeutscher Rundfunk (WDR), 09.08.2022 - Jürgen Röhr, Sabine Meuter

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Die Perspektive in 30 Sekunden

Wenn Polizeischüsse tödlich enden, ist das auch für die betroffenen Beamten und Beamtinnen schwer erträglich, macht Notfallseelsorger und Ex-Polizist Jürgen Röhr deutlich. Wer einen derart folgenschweren Schuss abfeuere, den lasse der Vorfall für den Rest seines Lebens nicht mehr los: „Das geht tief in die Seele des Beamten“, mahnt Röhr im Interview mit der Journalistin Sabine Meuter für den WESTDEUTSCHEN RUNDFUNK (WDR).

Röhr ist überzeugt, dass Polizisten und Polizistinnen sich vor allem in den Dienst der Gesellschaft stellen, um Freund und Helfer zu sein. „Kein Polizist will einen anderen Menschen töten oder verletzen, wir haben einen Helferberuf, dafür sind wir da“, betont der Ex-Polizist, der nach jahrelangem Dienst selbst bei einem Einsatz angeschossen wurde und mehr als drei Monate im Koma lag.

Dennoch gebe es Situationen, in denen ein Schuss sich nicht mehr abwenden lasse – aus Notwehr. Wenn jemand etwa aus einer Entfernung von weniger als sieben Metern mit dem Messer angegriffen werde, könne das im ungehinderten Fall lebensgefährliche Folgen haben. In solchen Situationen hält Röhr es für gerechtfertigt, zur Schusswaffe zu greifen: „Sie wollen ja auch gesund nach Hause kommen zu ihrer Familie.“

Dennoch werde auch der 29-jährige Polizist aus Dortmund, aus dessen Waffe die tödlichen Schüsse in Dortmund fielen, schwer unter der Tat zu leiden haben. „In dem Moment, in dem der Schuss fällt, hört das alte Leben eines Polizisten auf“, gibt der Notfallseelsorger zu bedenken. Trotz diverser Hilfsangebote sei es für Betroffene nicht leicht, damit leben zu lernen: „Ob Sie es wollen oder nicht, es wird immer in Ihrer Erinnerung bleiben.“

Anmerkungen der Redaktion

Jürgen Röhr ist Notfallseelsorger und Ex-Polizist. Im Jahr 2003 lag der damals 43-Jährige nach einer dienstlichen Schussverletzung fast drei Monate lang im Koma. Die Genesungszeit mit Operationen, Klinik- und Reha-Aufenthalten zog sich über Jahre. Als Polizist konnte Röhr danach nie wieder arbeiten. Stattdessen schult er seitdem andere Beamt:innen, um auf psychische Folgen von Polizeiarbeit aufmerksam zu machen. Die Selbsthilfegruppe „Schusswaffenerlebnis“ wurde 2001 vom damaligen evangelischen Landespfarrer im Rheinland, Martin Krolzig, gegründet. Im Jahr 2007 installierte Röhr einen zweiten Seminarstandort in Berlin.

Sabine Meuter ist eine deutsche Journalistin. Sie arbeitet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender WESTDEUTSCHER RUNDFUNK (WDR) als Redakteurin. Für den WDR führt sie Interviews, schreibt Kommentare und verfasst Nachrichtentexte zu tagesaktuellen Themen. Demzufolge schreibt Meuter zu sehr unterschiedlichen Themen: Ihre Texte erstrecken sich von COVID-19 über die Lage in Afghanistan bis hin zu den steigenden Spritpreisen.

Der WESTDEUTSCHE RUNDFUNK (WDR) ist die größte der neun Landesrundfunkanstalten der ARD. Er entstand 1956, als sich der NWDR in den NDR und den WDR aufteilte. Die Sendeanstalt hat sechs Radioprogramme und einen Fernsehsender, zu dessen bekanntesten Programmen unter anderem das Politmagazin „Monitor“, die „Sportschau“ oder das Kinderangebot „Die Sendung mit der Maus“ gehören. Laut eigenen Angaben ist der Sender nach Anzahl der Beschäftigten das zweitgrößte Medienunternehmen Europas hinter der BBC. Laut der „Media-Analyse 2021“ erreicht der Fernsehsender des WDR in Deutschland täglich rund 8 Millionen Zuschauer:innen, der Radiosender erreicht rund 11 Millionen Zuhörer:innen. Der Webauftritt des WDR hatte im April 2022 laut Similarweb rund 14,8 Millionen Besuche zu verzeichnen.