Klimaaktivismus - in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus
Massendemonstrationen, Straßenblockaden, Kartoffelbrei auf Kunst: Mit dem Klimaaktivismus hat sich in den vergangenen fünf Jahren eine weitere soziale Bewegung etabliert. Sie hat viel Einfluss auf die öffentliche Debatte gewonnen, ist aber auch umstritten, sogar in Teilen der Umweltbewegung aus den 1980er Jahren. Wie funktioniert der Klimaaktivismus und was ist daran wirklich neu? Wir blicken zurück bis ins 19. Jahrhundert.
Vom Heimatschutz zum Klimaaktivismus: Geschichte des Engagements für Umwelt und Natur
Natur- und Umweltschutzgedanken gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert. Sie entstanden als Reaktion auf die zunehmende Industrialisierung. Zuvor haben Menschen vor allem die Notwendigkeit gesehen, sich VOR der Natur zu schützen: vor den Angriffen wilder Tiere, vor Witterungsunbilden und Naturkatastrophen, vor Ernteausfällen.
Die industrielle Revolution jedoch veränderte gerade das Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens innerhalb weniger Jahrzehnte rasant: Lebten hier im Jahr 1871 rund vier Millionen Menschen, waren es Ende der 1930er Jahre bereits 12 Millionen. Kleine Kommunen wuchsen im Eiltempo zu Großstädten heran. Im Jahr 1900 waren im Ruhrgebiet etwas mehr als 11 Prozent der Flächen bebaut, ein halbes Jahrhundert später bereits mehr dreimal so viel.
Felder, Wälder und Wiesenflächen verschwanden für das Nebeneinander von Industrie, Wohnen und Verkehr. Die verbliebene Natur wurde wichtig für die Versorgung mit Nahrungsmittel und die Naherholung. Der Tourismus kam als weiterer Wirtschaftszweig auf. Viele dieser Prozesse verliefen ungeplant und unkoordiniert, so dass unterschiedliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen in Konflikt gerieten.
Als Reaktion darauf entwickelten sich zwei Bewegungen:
- Umweltschutz: Im späten 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war mit Umweltschutz vor allem gemeint, die Folgen der Anwendung von Technik auf die Menschen und ihr Lebensumfeld abzumildern. Es ging um die Luft- und Gewässerverschmutzung, aber auch um Hygiene- und Gesundheitsprobleme in den wachsenden Ballungsgebieten. Dieser technische Umweltschutz war staatlich organisiert; in Gewerbeordnungen oder im Nachbarschaftsrecht sowie in der Gründung neuer Verwaltungsbereiche, etwa Gesundheitsämter oder Planungsverbände auf kommunaler Ebene.
- Naturschutz: Der Naturschutz hat seinen Ursprung im Heimatschutz. Er ist eng verknüpft mit der romantischen Naturphilosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Teile des Bildungsbürgertums setzten sich für die Einrichtung von Naturdenkmälern ein, die besonders prägende Naturgebilde wie Bäume oder Felsformationen vor Veränderung schützen sollten. In einigen geschichtswissenschaftlichen Deutungen gilt das als erste deutsche Umweltbewegung.
Mit fortschreitender Industrialisierung bildeten sich im Naturschutz zwei wesentliche Strömungen heraus. Eine radikal-konservative, kulturpessimistische und zivilisationskritische Ausrichtung forderte ein Ende des technischen Wandels und die Rückkehr zum vor-industriellen Zustand. Eine reformerisch-konservatorische Ausrichtung trat für einen Ausgleich zwischen ökologischen Interessen einerseits und wirtschaftlichen sowie sozialen Interessen andererseits ein. Diese Strömung setzte sich politisch durch.
Der Naturschutz wurde zu diesem Zeitpunkt vor allem als ehrenamtliche Aufgabe betrachtet. Vielfach brachten sich Naturkunde-Lehrer auf lokaler oder regionaler Ebene als ehrenamtliche Naturschutzbeauftragte ein.
Weiterlesen:
Leh, Almut: „Zwischen Heimatschutz und Umweltbewegung – Die Professionalisierung des Naturschutzes in Nordrhein-Westfalen 1945-1975“. Dieses und weitere Bücher finden Sie bei der Stiftung Naturschutzgeschichte in Königswinter.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wuchsen Natur- und Umweltschutz thematisch zusammen. Die frisch gegründete Bundesrepublik Deutschland übernahm das Reichstierschutzgesetz (1933) soweit das Reichsnaturschutzgesetz (1935) aus der NS-Zeit und behielt damit auch die der Verwaltung zugewiesenen Aufgaben bei.
Anstelle der ehrenamtlichen Naturschutzbeauftragten traten zunächst einzelne Beamte und später die kommunalen Umweltämter. Naturschutzverbände gründeten sich. Lange bevor sich der Gesetzgeber dem Feld der Umweltpolitik zuwandte, entwickelten Gerichte mit ihren Urteilen das bestehende Recht weiter. So wies das Bundesverfassungsgericht den Naturschutz 1958 als Aufgabe den Ländern zu, bei gleichzeitiger Rahmenkompetenz des Bundes.
Neue Themen kamen auf: Massenkonsum und Ressourcenverbrauch, erste Hinweise auf die Klimafolgen der Industrialisierung, Artensterben oder die Ausbreitung des individuellen Autoverkehrs. Frühe Konflikte spielten sich zwischen einer auf Wachstum ausgerichteten Industrie und der Landwirtschaft ab. Letztere beanspruchte einerseits immer mehr Naturfläche, um ausreichend Nahrungsmittel produzieren zu können. Andererseits wirkten sich die sichtbaren Umweltschäden auch auf ihr Erntegut und ihre Nutztiere aus.
Insbesondere in den industriell geprägten Ballungsräumen Nordrhein-Westfalens rückte zudem die Luftverschmutzung in den Fokus der öffentlichen Debatte. Bereits seit 1962 verpflichtete das bundesweit erste Landesgesetz zum Immissionsschutz Unternehmen dazu, sich bei der Reinhaltung der Luft am technischen Stand zu orientieren. Zuvor hatten Gerichte regelmäßig geurteilt, dass die Bevölkerung eine ortsübliche Luftverschmutzung zu akzeptieren habe. Im gleichen Jahr wurde erste Landesanstalt für Immissionsschutz wurde gegründet, an der sich später auch die Umweltpolitik der Bundesregierung orientierte.
In den 1970er Jahren rückten der Natur- und Umweltschutz endgültig in den Blick der Öffentlichkeit. 1970 führte der Europarat die erste europaweite Naturschutzkampagne mit rund 200.000 Aktionen durch. Zeitgleich entstand in Deutschland die sogenannte Umweltbewegung. Als eher loses Netzwerk setzten sich Vereine, Initiative und Organisationen für den Schutz von Ökosystemen, aber auch für Gesundheit und Menschenrechte ein. Dafür erhob sie vor allem Einsprüche gegen Planungsverfahren, klagte vor Gerichten für einen besseren Natur- und Umweltschutz oder gründete lokale Bürgerinitiativen.
Mit den Protesten gegen die zivile Nutzung der Kernkraft wurde daraus ab Mitte der 1970er Jahre eine Massenbewegung. Ihren Höhepunkt erreichte die Anti-Atomkraft-Bewegung nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. Zu großen Demonstrationen gegen Kernkraftanlagen kamen teils hunderttausende Menschen. Allerdings sprach sich eine Mehrheit der Deutschen weiterhin für die zivile Nutzung von Kernkraft aus.
Die Umweltbewegung differenzierte sich im Laufe der Jahre in unterschiedliche Richtungen aus. Große Teile setzten auf die Auswertung und Anerkennung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Kernkraft oder den Zusammenhang zwischen Wirtschaftssystemen und Umweltproblemen. Andere Teileradikalisierten sich. Es kam zu Gewalt am Rande von Demonstrationen sowie zu Angriffen auf Kernkraft-Unternehmen und Infrastruktur wie Bahnanlagen oder Stromleitungen. Sozial- und Rechtswissenschaften beschäftigten sich intensiv mit dem Begriff des zivilen Ungehorsams, der Gesetzesübertritte als Mittel zum höheren Zweck als legitim betrachtet.
Mit der Partei „Die Grünen“ entstand 1980 ein parlamentarischer Flügel der Bewegung. Doch nicht nur die Grünen trugen Umweltthemen in die Politik. Auch andere Parteien griffen die Forderungen aus der Bevölkerung auf. 1971 etablierte die Regierungskoalition aus SPD und FDP im Bund in ihrem Umweltprogramm die Umweltpolitik erstmals als eigenständiges Politikfeld. 1974 wurde das Umweltbundesamt gegründet. Im gleichen Jahr trat das Bundesimmissionsschutzgesetz in Kraft, das den Schutz vor Luftverschmutzung, Lärm, Erschütterungen und Strahlen rechtlich absicherte. Ein eigenes Ministerium für Umwelt- und Naturschutz kam aber erst nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.
Auch auf europäischer Ebene kam es zu einer Integration von Umweltthemen in die Politik. 1975 erließ die Europäische Gemeinschaft eine Rahmenrichtlinie zur Abfallentsorgung. 1982 wurde Ressourcenschutz zum Ziel einer europäischen Umweltpolitik. Mit der politischen Wende 1989/1990 und dem Ende des Kalten Krieges rückten jedoch andere Themen in den Fokus der allgemeinen Öffentlichkeit. Die Umweltbewegung verlor an Bedeutung.
Weiterlesen:
Natur- und Umweltschutz als Politikfeld: Welche Begriffe sind wichtig? Welche Interessen kollidieren? Welche Meilensteine gibt es in 150 Jahren Naturschutzpolitik in Deutschland? Ausführliche Beiträge dazu finden Sie im Themendossier „Naturschutzpolitik“ bei der Bundeszentrale für Politische Bildung.
Zwei verheerende Hochwasserereignisse setzten zu Beginn des neuen Jahrtausends den Klimawandel auf die öffentliche Agenda: die Oder-Flut 1997 und das Elbe-Hochwasser 2002. Klimawissenschaft und Umweltbehörden warnten einhellig: Solche extremen Wetterereignisse werde es nun auch in Deutschland häufiger geben. Ursache sei der durch Treibhausgase in der Atmosphäre verursachte Klimawandel.
Doch auf internationaler Ebene scheiterte die Umsetzung mehrerer Klimaschutzabkommen. 2015 etwa legte sich die UN-Klimakonferenz in Paris auf das so genannte 1,5-Grad-Ziel fest. Die globale Erwärmung soll demnach auf maximal 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränkt werden. Die auf staatlicher Ebene beschlossenen Maßnahmen zur Umsetzung waren nach Auffassung vieler Klimaforscherinnen und Klimaforscher unzureichend.
2018 begann die damals 15-jährige Schülerin Greta Thunberg mit einem freitäglichen Sitzstreik vor dem schwedischen Parlament in Stockholm, um auf die aus ihrer Sicht vorhandenen Missstände hinzuweisen. Medien weltweit griffen den Protest auf, woraufhin sich in vielen Ländern teils zehntausende Schülerinnen und Schüler sowie Studierende anschlossen.
Unter dem Titel Fridays for Future demonstrierten sie in der Schulzeit für mehr Klimaschutz. Kernforderung: Politik und Gesellschaft sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, damit das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden kann. Gesellschaftliche Diskussionen drehten sich um die Angemessenheit der Forderungen, aber auch um den richtigen Umgang mit den offensichtlichen Verstößen der jungen Menschen gegen die gesetzliche Schulpflicht. Den Höhepunkt ihrer Mobilisierung hatte Fridays for Future im Jahr 2019.
Mit der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der damit verbundenen Energiekrise sowie dem Krieg im Nahen Osten traten andere Themen in den Fokus der allgemeinen Öffentlichkeit. Zudem hoben steigende Energiepreise und die Wirtschaftskrise die sozialen und ökonomischen Folgen der Klimatransformation hervor. Die Zustimmungswerte in der Gesellschaft für den Klimaaktivismus sanken.
Teile der Bewegung reagierten mit immer drastischeren Protestformen: Straßenblockaden, Klimastreiks, Beschädigung von fremdem Eigentum. Erneut entbrannte eine Debatte um die Legitimität von zivilem Ungehorsam, der illegale Handlungen mindestens in Kauf nimmt, um die eigenen Ziele gegen andere Interessen durchzusetzen. Darin zeigte sich auch ein nachlassendes Vertrauen in Teilen der Bewegung, dass demokratische und rechtsstaatliche Prozesse überhaupt ausreichend in der Lage sind, auf die Gefahren durch den Klimawandel einzugehen.
Kritikerinnen und Kritiker dieser Sichtweise verweisen etwa auf den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2021 als Beispiel funktionierender Ausgleichs- und Kontrollmechanismen. Das höchste deutsche Gericht hatte Teile des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung als für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt, weil ein Aufschieben der Emissionsschutzziele die Grundrechte nachfolgender Generationen unverhältnismäßig belasten würde – und damit eine wesentliche Position der Klimabewegung berücksichtigt. Auch finden sich in der öffentlichen und der politischen Debatte die Perspektiven der Klimabewegung wieder: etwa die Forderung nach globaler Klimagerechtigkeit oder die Hinweise auf Klimafolgen, die bereits jetzt auch in Deutschland sichtbar sind.
Weiterlesen:
Was will die Klimabewegung? Wie schnell verändert sie sich und ihre Ziele? Wie stehen die unterschiedlichen Protestformen zueinander? Dazu hat der Protestforscher Prof. Dr. Sebastian Haunss der Bundeszentrale für Politische Bildung ein Interview gegeben.
Führt Klimaaktivismus zu einer Art Ökodiktatur? Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Johannes Varwick sagt: Die autoritäre Durchsetzung einer kompromisslosen Klimapolitik würde die Gesellschaft zerreißen – und ihrem eigenen Ziel schaden. Seine Argumente finden Sie hier.
Was genau ist eigentlich ziviler Ungehorsam – und warum ist es so schwer, die richtigen Grenzen zu ziehen? Das hat der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber hier zusammengefasst.
Im Brennpunkt
Was will der Klimaaktivismus?
Eva und Johannes. Helene und Jakob. Mia und Sylvia. Sophie und Silvan. Auch diese acht jungen Menschen setzen sich für das Klima ein. Sie gehen zur Schule, studieren oder sind gerade in den Beruf eingestiegen. 2019 und 2020 haben sie sich jeweils zu zweit vor der Kamera getroffen und diskutiert. Was macht ihnen Sorge? Was muss sich aus ihrer Sicht ändern? Wie weit darf Protest gehen? Der Dokumentarfilm „Mädels und Jungs for future“ von Antonia Lerch hält ihre Perspektiven fest.
Im Brennpunkt 2
50 Jahre reichten nicht
Len, Nina und Geli – drei Generationen, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Die drei zeigen auf, wie die Klimaschutzbewegung sich entwickelt hat und welche Aspekte heute im Vergleich zu früher anders oder auch gleich geblieben sind. Ein Film des Medienprojekts Wuppertal.