Straßenblockaden, Lützerath, Hambacher Forst: Der Klimaaktivismus ist auch in Nordrhein-Westfalen ein gesellschaftspolitisches Phänomen. Vor allem, aber nicht nur junge Menschen setzen sich für eine Politik ein, die alles Erdenkliche dafür tut, die Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf 1,5 Grad zu beschränken.
Bei Klimapolitik jedoch geht es um komplexe Fragen der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gerechtigkeit. Es geht auch um die Gültigkeit demokratischer und rechtsstaatlicher Prozesse sowie um die Offenheit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Dabei wird zunehmend ein Spannungsfeld sichtbar; zwischen Rechtsstaatlichkeit auf der einen Seite sowie Aktivistinnen und Aktivisten auf der anderen Seite, die immer weniger auf die Fähigkeit eben jenes Rechtsstaates vertrauen, die Probleme des Klimawandels zu lösen.
Das Themendossier „Klimawandel und Klimaaktivismus“ fasst auf den folgenden Seiten Anliegen und Aktionsformen, wissenschaftliche und politische Einbettung sowie Spannungsfelder der Klimaschutzbewegung zusammen.
Im Brennpunkt: Die Autobahn - Kampf um die A49
Bild: © Klaus Stern / stern film
2019 und 2020 begleiten die Dokumentarfilmer Klaus Stern und Frank Marten Pfeiffer die Auseinandersetzung um den Dannenröder Forst in Hessen. Rund 50 Jahre nach Beginn der Planung sollen für den letzten Abschnitt der Autobahn 49 Teile des bis zu 300 Jahre alten Mischwaldes gerodet werden. Das Vorhaben fällt in eine zugespitzte Debatte zu Klimakrise und Verkehrswende.
Rund 100 Aktivistinnen und Aktivisten wollen die Rodung mit Blockaden und Baumhäusern verhindern. Die Mehrheit der Menschen in Hessen spricht sich für die Autobahn aus. Das Baurecht durchsetzen muss der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne). Für seine Partei war der Protest gegen die Autobahn Jahrzehnte lang identitätsstiftend. Nun kommt es zu einem der bundesweit größten Polizeieinsätze im Zusammenhang mit Klimaaktivismus. Der Wald wird geräumt.
Der Dokumentarfilm zeigt die komplexen demokratischen Prozesse der Planung, Entscheidung und Auseinandersetzung auf, in die Themen wie Klimaaktivismus, ländliche Entwicklung oder Verkehrspolitik eingebunden sind. Er wirft Fragen auf: Warum halten Menschen an bestimmten Entscheidungen fest, auch wenn sich die Voraussetzungen geändert haben? Darf sich Klimaaktivismus über alle anderen gesellschaftlichen Interessen stellen? Lassen sich die tiefen inhaltlichen Gräben überwinden?
Ein Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung bietet Hintergrundinformationen zum Film und ein Interview mit Co-Regisseur Klaus Stern. Vier Arbeitsblätter mit Hinweisen für Lehrerinnen und Lehrer ermöglichen es, die kontroversen Themen im Unterricht zu vertiefen.
Was ist der Klimawandel? Positionen aus der Wissenschaft
Als Klimawandel bezeichnet die Wissenschaft eine wesentliche Veränderung der durchschnittlichen Erdtemperatur. Diese Veränderung wirkt sich auf das gesamte Klimasystem aus: auf die Atmosphäre und die Gewässer, auf Schnee- und Eisschichten, auf Böden und auch auf alle Lebewesen.
Die Geschichte unseres Planeten ist mit signifikanten natürlichen Klimaschwankungen verbunden. Die Veränderungen im globalen Klimasystem haben jedoch seit 1950 zugenommen im Vergleich zu den vorherigen Jahrtausenden.
Als eine mögliche Quelle wertet die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren regelmäßig den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel aus. Demnach vertreten weltweit mehr als 90 Prozent aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die gegenwärtige Veränderungen des Klimas untersuchen, folgende Grundpositionen:
- Eine Vielzahl von Daten und Quellen belegen einen schnellen und drastischen Anstieg der mittleren Erdtemperatur.
- Wesentliche Ursache dieser globalen Erwärmung ist die Freisetzung von Kohlendioxid, Methan und anderen Treibhausgasen.
- Auslöser dafür ist vor allem menschliche Aktivität. Es gibt aus Sicht der Klimatologie keine physikalisch überzeugende Erklärung für die Erderwärmung, in welcher der Faktor Mensch nicht vorkommt.
- Die globale Erwärmung ist mit gravierenden Klimafolgen verbunden, die sich zwar regional unterschiedlich verteilen, aber die gesamte Erde betreffen werden.
Unterschiedliche Positionen und auch teils erhebliche Forschungslücken gibt es dazu, wie sich die Erderwärmung konkret auf das komplexe und vernetzte Klimasystem auswirken wird. Ein Beispiel sind die kritischen Schwellenwerte, die sogenannten Kipppunkte. Wissenschaftliche Modelle treffen derzeit unterschiedliche Aussagen dazu, ob und zu welchem Zeitpunkt Eisschilde instabil werden, Permafrostböden auftauen, Monsunsysteme aussetzen oder der Atlantikstrom versiegen könnten – und wie sich das auf die jeweils anderen Teile des Klimasystems auswirken würde.
Erkenntnisfortschritt vollzieht sich hier, wie überall in der Wissenschaft, im engen Austausch der fachlichen Gemeinschaft: Forscherinnen und Forscher legen sich gegenseitig ihre Studien vor, machen ihre Modelle nachvollziehbar und weisen auf Gegenmeinungen sowie offene Fragen hin. In der Diskussion zeigt sich, wie und mit welchen Begründungen die Forschergemeinschaft Ergebnisse als plausibel annimmt oder aber verwirft.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind auch am Transfer ihrer Erkenntnisse in die allgemeine Öffentlichkeit interessiert. Sie stellen Ergebnisse gut verständlich dar, geben Interviews oder sind beratend tätig. Aus Entscheidungen darüber, wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit ihren Befunden umgehen sollen, hält sich die Forschung hingegen raus. Das ist für sie Ergebnis einer breiten öffentlichen Debatte, die weit mehr Faktoren einbeziehen muss als Klimadaten.
Mehr zur Auswertung wissenschaftlicher Studien und Positionen zum Klimawandel finden Sie bei der Helmholz-Gemeinschaft.
Auf der Seite des Umweltbundesamtes finden Sie Infos zur aktuellen Klimaforschung sowie zu erwartenden Klimaänderungen bis 2100.
Wie die Erderwärmung das politische Klima verändert
Der Klimawandel betrifft das Leben aller Menschen. Auf den Klimawandel müssen Städte, Dörfer und die Landkreise reagieren, ebenso wie das Land Nordrhein-Westfalen, der Bund, die Europäische Union und die internationalen Entscheidungsgremien. Das erfordert völlig neue Ansätze und Konzepte, bietet aber auch mehr Spielraum für bürgerschaftliches Engagement, den Wandel mitzugestalten. Die folgenden Animationsclips beleuchten jeweils einzelne Aspekte.
Film 1: Der Klimawandel in Nordrhein-Westfalen
Hitze, Starkregen, Waldsterben: Wie verändern sich Natur, Umwelt und Gesellschaft – und wie wirkt sich das auf die Politik des Landes aus?
Film 2: Was heißt hier Klimagerechtigkeit?
Wie entwickelt sich die Debatte um die Folgen der Klimakrise – und wie beeinflusst das die Entscheidungen auf allen Ebenen?
Film 3: Die Klimapolitik der Europäischen Union
Woher kommt der Europäische Grüne Deal – und welchen Einfluss haben wir auf die Entscheidungen der EU?
Film 4: Klimawandel vor der Haustür
Warum rufen immer mehr Kommunen in Nordrhein-Westfalen den Klimanotstand aus – und was heißt das für die Bürgerinnen und Bürger?
So funktioniert Klimapolitik in Nordrhein-Westfalen
Politik wird in unserem demokratisch verfassten Rechtsstaat durch Gesetze allgemein verbindlich. Das gilt auch für Klimapolitik. Der Landtag in Nordrhein-Westfalen hat im Juli 2021 ein Klimaschutzgesetz verabschiedet. Darin sind die wesentlichen Ziele und Instrumente der Klimaschutzpolitik des Landes festgelegt.
Im Jahr 2045 will das Land demnach treibhausgasneutral sein. Das heißt: Ab dann sollen von Nordrhein-Westfalen aus keine zusätzlichen klimarelevanten Emissionen mehr in die Atmosphäre gelangen (Netto-Null-Emission). Der Ausstoß dieser Gase darf also in der Summe nicht den Wert übersteigen, den natürliche Speicher wie Wälder, Moore oder Gewässerauen sowie technische Speichersysteme aufnehmen können.
Für die Umsetzung der im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele sind folgende Instrumente der politischen Steuerung vorgesehen:
- Verpflichtungen: Das Klimaschutzgesetz sieht einmal vor, dass Technologien mit hoher Emission von Treibhausgasen in einer bestimmten Frist durch klimaneutrale Alternativen ersetzt werden müssen. So sollen zum Beispiel alle Dienstfahrzeuge des Landes und der Kommunen ab 2030 CO2-neutral sein. Das Land muss zudem an allen Dienstgebäuden sämtliche geeigneten Flächen für Photovoltaik-Anlagen sukzessiv erschließen sowie ein landesweites Klimamonitoring einführen. Verwaltungen, öffentliche Einrichtungen (z.B. Hochschulen oder öffentliche Krankenhäuser) sowie öffentliche Unternehmen sollen bis 2045 treibhausgasneutral zu sein.
- Anreize: Ein wesentlicher Teil der im Klimaschutzgesetz vorgesehenen Maßnahmen besteht jedoch aus Anreizen für ein klimaneutrales Verhalten. Dazu zählen Förderprogramme, etwa für den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur, der Abbau bürokratischer Hürden sowie Beratungs- und Aufklärungsangebote für Unternehmen und Privatpersonen. Für die genaue Ausgestaltung dieser Anreize erarbeitet die Landesregierung ein Klimaschutzpaket (Stand: April 2024).
In seiner Klimapolitik muss das Land Nordrhein-Westfalen immer wiederüber alle Ebenen hinweg unterschiedliche Interessen ausgleichen. Fast immer sind die Städte und Gemeinden betroffen, weshalb sie über ihre kommunalen Spitzenverbände zu beteiligen sind. Für andere Vorhaben, etwa den Kohleausstieg ab 2030, ist eine enge Abstimmung mit dem Bund und der Europäischen Union nötig. Das Kohleausstiegsgesetz ist ein Bundesgesetz. Mit der EU wären die Entschädigungen für den Energiekonzern RWE abzustimmen.
Diese und ähnliche Verflechtungen in der Klimapolitik haben Vor- und Nachteile: Einerseits besteht eine hohe Chance, dass bei dem anstehenden tiefgreifenden Wandel möglichst vieleInteressen berücksichtigt und die beschlossenen Maßnahmen technisch, rechtlich und auch sozial umsetzbar sind. Andererseits haben viele Menschen den Eindruck: Der Klimaschutz kommt nicht schnell genug voran.
Mehr zum Klimaschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen und zum ersten Klimaschutzpaket mit den konkreten Maßnahmen finden Sie auf dem NRW-Klimaschutzportal.
Brain for future: Bildung für nachhaltige Entwicklung
Klimaschutz geht nur mit den Menschen und nicht an ihnen vorbei. Deshalb gibt es in Nordrhein-Westfalen die Landesstrategie Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Sie soll Menschen jeder Generation unterstützen, die Auswirkungen ihres Handelns auf die Welt zu betrachten, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen und die gesellschaftlichen Entwicklungen mitzugestalten.
Bildung für nachhaltige Entwicklung geht auf das gleichnamiges UNESCO-Weltaktionsprogramm zurück. Für die Umsetzung in Nordrhein-Westfalen gibt es seit 2016 eine Landesagentur. Sie steuert die vielfältigen Maßnahmen. Dazu zählen die nachhaltige Schul- und Hochschulentwicklung, Bildungspatenschaften oder Veranstaltungen wie Planspiele, Schülerakademien oder das BNE-Festival.
Mehr Informationen und Veranstaltungshinweis finden Sie auf der Seite der BNE-Agentur NRW.