Das jüdische Ritualbad
Vom Kohlenlager zur Gedenkstätte: Gedenkstätte „Alte Synagoge Selm-Bork“
Die Alte Synagoge Selm-Bork gehört zu den wenigen noch existierenden Landsynagogen im Münsterland. Zwar ist sie seit 1994 als Ort des Gedenkens und Erinnerns wieder geöffnet, doch gibt es nach wie vor zahlreiche Fragen zu ihrer Vergangenheit. Die Ergebnisse einer Grabung im Rahmen eines Schülerprojekts an der Nordseite der Synagoge im August 2019, angrenzend an den ehemaligen Eingangsraum zur Frauenempore, nährt die neueste Vermutung, dass hier noch Überreste eine Mikwe zu finden sind. Großflächige Grabungen sind jedoch heute problematisch, da seit der Erschließung eines Neubaugebiets 1995/1996 Kanal-und Gasleitungen den Zugang zu dem Grabungsbereich erschweren. Umfassendere Grabungen sind daher vorerst zurückgestellt, die bereits gefundenen Mauerfundamente erneut zugeschüttet und zunächst nur durch farbige Bänderung im Pflaster sichtbar.
500 Silbergroschen ließ sich die Synagogengemeinde Olfen, hierzu zählte Bork, den Bau eines Versammlungshauses Anfang 1800 kosten. Das genaue Baujahr ist unbekannt, gesichert ist, dass das Synagogengebäude bereits im Häuserverzeichnis von 1818 und im Urkataster von Bork aus dem Jahr 1824 verzeichnet ist.Über 100 Jahre diente die Synagoge der etwa 60 Mitglieder bzw. rund 11 Familien umfassenden jüdischen Gemeinde in Bork und Selm als Gemeindezentrum. Bis 1900 war für die jüdischen Kinder im Vorraum eine eigene Schule untergebracht.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die zu dem Zeitpuntk noch in Bork und Selm lebenden 38 Gemeindemitglieder der jüdischen Gemeinde zunehmend diskriminiert und aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Unter Druck mussten alle Borker, die ein Geschäft besaßen, dieses verkaufen. Auch die Synagoge musste am 7. Oktober vom Vertreter der jüdischen Gemeinde Bork, Issak Heumann, für 900 RM an einen benachbarten Gastwirt verkauft werden. In der Nacht des 9. November 1938 kam es dann zur Plünderung und völligen Zerstörung ihrer Inneneinrichtung, und nur die enge Bebauung im Dorf und rund um die Synagoge sowie die neuen Besitzverhältnisse verhinderten vermutlich das Abbrennen des Gebäudes.
Im Dezember 1941, im Januar 1942 und im Juli 1942 wurden die letzten zwölf der noch nicht deportierten oder geflüchteten Juden aus Selm und Bork zunächst in die Steinwache nach Dortmund und von dort aus in Konzentrationslager deportiert. Im Sommer 1942 hörte die jüdische Kultusgemeinde Bork auf zu existieren. Niemand der letzten jüdischen Bewohner aus Selm und Bork kehrte lebend zurück.
Seit dem Verkauf diente die Synagoge dem neuen Besitzer als Kohlelager und auch nach dem Krieg, bis 1981 wurde sie als Lagerraum genutzt. Das Gebäude verfiel dabei zusehends, bis über den Antrag auf Abriss durch den damaligen Besitzers das Westfälische Amt für Denkmalpflege hellhörig wurde und die Unterschutzstellung beantragte, die allerdings vom Rat der Stadt Selm zunächst abgelehnt wurde. 1983 stellte der Minister für Landes- und Stadtentwicklung die Synagoge unter Denkmalschutz, ein Abriss wurde dadurch verhindert. Fünf Jahre später kaufte die Gemeinde das verfallene Gebäude, mit Mitteln des Landes wurde es ab 1991 restauriert. Am 18. Mai 1994 wurde die Synagoge der Öffentlichkeit als „Kulturstätte mit mahnendem und erinnerndem Charakter“ übergeben. Um das Gebäude durch seine Schlichtheit und seine kleine Ausmaße wirken zu lassen, wird im Hauptraum bewusst auf Aufstellungen verzichtet. Im Vorraum wird in einer Vitrine der Fund von Gebetsbüchern aus einem Genisoth im Dachboden des Gebäudes präsentiert.
Dem Auftrag, zum Erinnern und Gedenken anzuregen, wird in der Alten Synagoge Selm-Bork vor allem mit Führungen, die zum einen das kleine Gebäude an sich präsentieren, zum anderen ihre nach wie vor zentrale Lage im Borker Ortskern und ihre direkte Nähe zu ehemaligen Wohnhäusern jüdischer Mitbürger thematisieren, nachgekommen. Dabei wirkt die Synagoge vor allem durch das, was nur noch in Andeutungen erkennbar ist. So wurde beispielsweise bei der Restaurierung nach Entfernen einer nachträglich eingebrachten Zwischendecke in der Ostwand eine Lücke im Lehmputz sichtbar, in der sich der Thoraschrank befand. Diese Lücke wurde bewusst freigehalten, der zerstörte Thoraschrank nicht wieder rekonstruiert, um so zu verdeutlichen, dass etwas unwiederbringlich zerstört wurde. Insbesondere bei Seminaren mit Schülerinnen und Schülern wird das gemeinsame Suchen nach dem, was in ihrer Vorstellung sonst eine Synagoge ausmacht, als didaktisches Mittel genutzt. Andererseits wird seit 2004 auf aktuelle Entwicklungen jüdischen Lebens in Deutschland eingegangen, indem auf die Verknüpfung der Alten Synagoge Selm-Bork mit der Gemeinschaft des liberalen Judentums im Münsterland und Ruhrgebiet, Etz Ami, eingegangen wird. Diese Gruppe war rund zehn Jahre in unregelmäßigen Abständen in der Synagoge in Selm-Bork zu Besuch und hat kleine, neue Spuren jüdischen kulturellen Lebens in diesem sonst nicht mehr rituell genutzten Gebäude hinterlassen.
Neben diesen Führungen, die bei der VHS im FoKuS Selm angefragt werden können, finden halbjährlich Klezmerkonzerte, Seminare, Lesungen oder auch Zeitzeugenbegegnungen statt. Darüber hinaus wird die Synagoge seit 2006 für den Musikunterricht der städtischen Musikschule und für SchülerInnenkonzerte zugänglich gemacht. Sie soll damit gezielt ins alltägliche Ortsleben integriert werden. Eine Folge dieses Ansatzes, der im Rahmen der politischen Bildungsarbeit der örtlichen VHS vorgedacht wurde, ist die Entwicklung von offenen Bürgergruppen zu thematischen Initiativen. So entstand in den vergangenen Jahren eine Gruppe, die sich für die Umsetzung der Aktion „Stolpersteine“ einsetzte. Danach arbeitete eine weitere Bürgergruppe in der „Initiative Bürgergarten“ an der Umsetzung eines Konzeptes für einen offenen Bürgergarten auf einem kleinen, städtischen, direkt vor der Synagoge gelegenem Grundstück. Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres entstand eine örtliche Zusammenarbeit zu einer seitdem einmal jährlich stattfindenden „Nacht der offenen Gotteshäuser“, bei der auch die Synagoge integriert wird. Eine weitere Bürgergruppe hat die Dokumentation und Pflege des kleinen jüdischen Friedhofes, zwischen den Ortsteilen Bork und Selm liegend, aufgenommen.
Aktuell (2019) wird an der Erstellung eines neuen Vermittlungskonzepts gearbeite, das auch digitale Medien einbindet. So sollen darüber unter anderem die Lebenswege zweier ehemaliger Mitglieder der jüdischen Gemeinde von ihrer Geburt in den 1930er Jahren, den ersten Lebensjahren in Selm und Bork und seit ihrer Flucht und Emigration nachgezeichnet werden.