Die Brotschneidemaschine der Familie Hertz in der Gedenk- und Erinnerungsstätte „Alte Synagoge Petershagen“
Das jüdische Ensemble von Synagoge, jüdischer Schule, jüdischem Friedhof, Mikwe, Häusern und der Gedenkstätte ist einzigartig in Norddeutschland und damit ein Alleinstellungsmerkmal für die Stadt Petershagen. In der Gedenkstätte "Alte Synagoge Petershagen" ist die Brotschneidemaschine der Familie Hertz ausgestellt. Sie ist ein ganz wichtiges Stück in der Ausstellung der Gedenkstätte, weil sie eine Geschichte von Nachbarschaft, von Vertrauen und von der Kraft der Erinnerung erzählen kann.
Das Synagogengebäude in der Stadt Petershagen liegt in der Goebenstraße, der ehemaligen Synagogenstraße, und wurde 1845/46 an der Stelle der alten, baufälligen Fachwerksynagoge von 1796 erbaut. Es handelt sich um ein auf langrechteckigem Grundriss stehendes eingeschossiges, saalartiges und traufständiges etwa 80 m² großes Backsteingebäude mit Sandsteinsockel und Satteldach. Schon für 1652 wird eine sogenannte Stubensynagoge erwähnt. Während des Pogroms von 1938 wurde die Synagoge am 10. November geschändet, die Inneneinrichtung demoliert und zerstört. Das Gebäude blieb erhalten und wurde, wie die Schule, schon Anfang 1939 verkauft.
Das Gebäude hatte verschiedene Nutzungen und diente bis in die 1990er Jahre als Lagerraum. Seit 1988 steht es unter Denkmalschutz. 1995 geriet es in den Blick der Öffentlichkeit und wurde 1998 von der Stadt gekauft. Im Jahre 2001 wurden die Sanierungsarbeiten beendet und das Gebäude wurde eröffnet. Im Inneren ist die ehemalige Anordnung von Bima, Frauenempore und Thorabereich klar zu erkennen. Eine Bronzetafel erinnert an die ermordeten Jüdinnen und Juden in Petershagen. Am 4. Juni 2009 verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig die ersten 11 Stolpersteine in Petershagen, mittlerweile sind es 36 Stolpersteine.
Es ist anzunehmen, dass die jüdische Schule in der Goebenstraße 5 gleichzeitig mit der Vorgängersynagoge 1796 als Fachwerkbau errichtet wurde. Bis 1916 war sie in Betrieb. Das Klassenzimmer, 1878 bei einem Umbau im Innenbereich nach Süden verlegt, konnte bis zu 24 Schülerinnen und Schüler aufnehmen. Daneben befanden sich das Zimmer für die Lehrerinnen und Lehrer und die Mikwe (das im Frühjahr 2008 freigelegte jüdische Ritualbad). Die Synagoge und die Empore konnten nur von der Schule aus betreten werden. 1999 wurde auch dieses Gebäude unter Denkmalschutz gestellt und 2007 von der Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen e.V. und der Stadt Petershagen gekauft. Archäologische Untersuchungen, Grabungen und die Entkernung begannen im März 2008, Sanierung und Rekonstruktion ab 2009. Sie wurden 2012 abgeschlossen.
Der jüdische Friedhof „Auf dem Judenberg“ an der Brandhorststraße in Petershagen ist heute eine Gedenkstätte. Ein Gedenkstein erinnert seit 1949 an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft. Im Grundbuch von Petershagen sind bis 1939 zwei jüdische Friedhöfe mit zusammen fast 3000 m² Fläche (heute sind nur noch ca. 700 m² erhalten) verzeichnet. Ein Begräbnisplatz scheint schon seit dem 17. Jahrhundert existiert zu haben. Von 1943 bis 1945 wurden hier die Opfer des „Arbeitserziehungslagers Lahde“ beerdigt. Nur der Grabstein der Familie Block blieb erhalten, alle anderen hat man entfernt, zerstört und die Gräber wurden eingeebnet.
Das Informations- und Dokumentationszentrum zur jüdischen Orts- und Regionalgeschichte in der Synagoge in Petershagen, 2003 eröffnet, weist neun Vitrinen auf. Die erste Vitrine widmet sich der Funktion und den Elementen einer Synagoge, den Einrichtungsgegenständen und dem Gottesdienst. Die Vitrinen zwei bis fünf beschreiben und belegen die Entwicklung der Judenschaft in Petershagen vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. Die erstmalige Nennung zweier jüdischer Einwohnerinnen und Einwohner erfolgte 1548/49. Drei Vitrinen behandeln das 20. Jahrhundert mit der „Kaiserzeit“, der „Weimarer Republik“, dem „Dritten Reich“ und dem Pogrom mit seinen Folgen. Die neunte Vitrine im Bereich des Thoraschreins präsentiert eine originale Thorarolle, einen 150 Jahre alten Thorazeiger, Gebetbücher und einen Chanukkaleuchter der Mendel-Grundmann-Gesellschaft Vlotho.
Synagoge und Ausstellung sind ganzjährig sonntags von 16.00 bis 18.00 Uhr und nach Vereinbarung, besonders für Gruppen, geöffnet.
Der jüdische Friedhof, die Synagoge, die jüdische Schule, die Mikwe und Häuser von Jüdinnen und Juden der Stadt Petershagen verweisen noch heute auf die klassischen Elemente und die erforderliche Infrastruktur der kleinen jüdischen Landgemeinde, die über 450 Jahre lang die Geschichte von Petershagen prägte, bevor sie im Terror des Hitlerregimes unterging. Im Jahre 1866 lebten 90 der 198 Jüdinnen und Juden des Synagogenbezirks in Petershagen und stellten dort fast 5% der Bevölkerung. Bis 1933 schrumpfte ihre Zahl auf 43 Personen. Die Ziele der Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge e.V., in ihrer Satzung vom Januar 1999 verankert, sind u.a. „der Erhalt der alten Synagoge und der jüdischen Schule“ und „die Einrichtung und Betreuung eines Informations- und Dokumentationszentrums“. Der Verein kooperiert themen- und projektorientiert vor Ort und überregional mit einer Vielzahl von Menschen, Vereinen, Institutionen und der Stadt Petershagen. Zu seinen Aktivitäten gehören neben der Umsetzung der Ziele die Ausrichtung von Veranstaltungen und Führungen für Gruppen zur Geschichte des Judentums in Petershagen. Die Arbeitsgemeinschaft bildet zusammen mit der Stadt Petershagen, dem Kreis Minden-Lübbecke, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden e.V. und der Jüdischen Kultusgemeinde Minden und Umgebung e.V. den Trägerkreis Ehemalige Synagoge e.V. Zweimal im Jahr treffen sich die Child Survivors Deutschland e.V. - Überlebende Kinder der Shoah bundesweit in Petershagen.
Weitere Informationen: www.synagoge-petershagen.de